Serie "100 Köpfe: Wir sind Bonn" Hans Bodo Schaum: Seit 70 Jahren im Dienste des Patienten

BONN · Der frühere Bundestagsarzt praktiziert noch mit 99 Jahren. Im Mai wird er 100.

Hans Bodo Schaum hat viele Fotos aus alten Zeiten, auf denen er als Arzt mit Bundestagsabgeordneten zu sehen ist.

Hans Bodo Schaum hat viele Fotos aus alten Zeiten, auf denen er als Arzt mit Bundestagsabgeordneten zu sehen ist.

Foto: Sascha Stienen

In Heft 01/2014 des Rheinischen Ärzteblattes entdeckte der GA eine kleine, unscheinbare Notiz: Dr. med. Hans Bodo Schaum ist am 1. Januar seit 70 Jahren als Arzt tätig. Die Praxis des vital und aufgeweckt wirkenden 99-Jährigen in Endenich gibt es tatsächlich, und Schaum praktiziert auch noch. Dafür sprach ihm der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, vor Kurzem seinen Dank und seine Anerkennung aus. Auch der Vorsitzende der Kreisstelle Bonn, Dr. med. Thomas Scheck, gratulierte zu diesem ungewöhnlichen Jubiläum.

Schaum führt nicht nur seit 70 Jahren eine eigene Praxis, sondern war auch von 1951 bis 1984 Parlamentsarzt des Deutschen Bundestags - 33 Jahre lang kümmerte er sich während der Sitzungszeit um die Abgeordneten. Im Beisein seines langjährigen Patienten und Freundes Karl-Heinz Morschhaeuser (63) erzählt Schaum eloquent und gewitzt von seinen Erlebnissen und Erfahrungen, zu denen auch die prägende Zeit als Lazarett-Arzt während des Zweiten Weltkriegs gehört.

Geboren wurde Hans Bodo Schaum 1914 in Hamburg. Zwei Jahre später zog die Familie berufsbedingt erst nach Leipzig und später nach München, wo Schaum lebte, bis er 16 war.

Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beendet der junge Arzt Schaum sein Studium und wird in Bonn beim Röntgenologen Prof. Dr. Robert Janker tätig. Auf dessen Empfehlung stellt er sich später sogar beim berühmten Chirurgen Ernst Ferdinand Sauerbruch an der Berliner Charité vor. Der Krieg verhindert aber, dass Schaum dort seinen beruflichen Weg fortsetzen kann.

Im Zweiten Weltkrieg arbeitet Schaum als Lazarett-Arzt in einem Krankenhaus in Balve und später in der Polizeikaserne in Dortmund. Der in der NS-Zeit als "politisch unzuverlässig" eingestufte Offizier entgeht dem Tod einige Male um Haaresbreite, etwa bei seiner Stationierung in einem Karpaten-Dorf. Das Ende des Krieges erlebt er nahe der Krim in Russland. Von dort kehrt er zum Glück nur mit einer Fußverletzung heim.

In Bonn wartet Arbeit. Der Vorsitzende der Bonner Ärzteschaft begrüßt ihn sehr herzlich: "Schaum, Sie schickt der Himmel." Der junge Arzt soll sich um die etwa tausend "B-Entlassenen" kümmern, jene Menschen, die nach dem Krieg nicht mehr in die Ostgebiete des besiegten Deutschen Reiches zurückgehen können, aber noch keine neue Bleibe gefunden haben. Mit einem Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes besucht Schaum die B-Entlassenen täglich.

Schaum holt seine Erinnerungsstücke und breitet sie auf dem Tisch im Wohnzimmer aus, etwa die Urkunde über die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse von 1989, Zeitungsausschnitte und Magazine, unzählige Fotos mit den Repräsentanten und Politikern der Bonner Republik. Ein Foto zeigt ihn mit Franz Josef Strauß bei der Verleihung des Goldenen Sportabzeichens. Einmal schüttelt er Konrad Adenauer die Hand.

Karl Carstens ist zu sehen, Annemarie Renger und Carlo Schmid. Zu ihm hatte Schaum ein besonders gutes Verhältnis, wie ein Adventsbrief aus dem Jahr 1976 belegt. Der Bundesminister Carlo Schmid schreibt: "Das Alter macht uns in den tieferen Gründen des Herzens feinfühliger für die Begegnungen der Freundschaft und der Liebe. So geht in unsere Dankbarkeit mehr ein von uns als in den früheren Lebensjahren." Was für ein schöner Stil aus einer Zeit der begnadeten Debattenredner.

Wenn Bundeskanzler Adenauer sein Parlament zur Sitzung bat, konnte es auch für den Parlamentsarzt Dr. Schaum lang werden - oft bis 3 oder 4 Uhr in der Früh. Und um 9 Uhr war er wieder in Zimmer S 021 im Südflügel des Bundestags. Vier Behandlungsräume hatte Schaum dort, die während der Sitzungswochen rege genutzt wurden. Adenauer hat er allerdings nicht behandelt, weil der "Alte" in Rhöndorf die Ärztin seines Vertrauens hatte. Viele andere Politiker behandelte Schaum dagegen schon. Bei den Sitzungen kam es mitunter vor, dass der eine oder andere Parlamentarier mit Kreislaufproblemen kollabierte. Dann war Schaum zur Stelle.

Karl-Heinz Morschhaeuser ist seit seinem 14. Lebensjahr dessen Patient - wie schon seine Großeltern und Eltern vor ihm. Morschhaeuser und seine Kinder fühlen sich in seiner Obhut wohl, vor allem wegen des Erfahrungsschatzes und des besonderen Blicks für die Nöte der Patienten

In Anlehnung an ein Bonmot von Professor Wilhelm von Drigalski meint Schaum augenzwinkernd: "Neben aller hoch entwickelten Technik auf dem medizinischen Sektor ist es für einen guten Arzt auch heute noch wichtig, mit Stethoskop, Blutdruckmesser und Reflex-Hämmerchen eine erste, zielgerichtete Diagnose stellen zu können."

Hans Bodo Schaum, der im Mai 100 wird, ist Witwer; vor einigen Jahren starb auch einer seiner beiden Söhne an Krebs. Sein zweiter Sohn ist ebenfalls Arzt. Der Internist und Diabetologe übergab seine Praxis mit 65 Jahren an einen Nachfolger.

Typisch bönnsch

Das sagt Hans Bodo Schaum über seine Heimat:

  • An Bonn gefällt mir, dass es in der Stadt viele Grünflächen gibt. Bonn ist schön und klein, und alles ist gut zu erreichen. Ich mag diese Überschaubarkeit.
  • Ich vermisse... nichts. Wir haben ja alles. Ich wüsste nicht, was hier noch fehlen würde.
  • Mein Lieblingsplatz ist die Alfred-Bucherer-Straße 77, der Balkon auf der Terrasse. Dazu ein schönes Glas Rotwein, während die Sonne untergeht...
  • Typisch bönnsch ist , dass man sich wohlfühlt.
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