Die 65 Kinder des Peter Heyderhoff Ein Informatiker aus Bonn baute ein Kinderheim in Indien auf

BONN · Es ist der Augenblick, auf den er jahrelang gewartet hat: Peter Heyderhoff fliegt nach Bangalore, in den Süden Indiens. Elf Stunden Flug und Zwischenstopp in Delhi, dann noch eine gute Stunde über Land bis Doddaballapur, größtenteils auf ungesicherten Straßen, auf denen es keine Verkehrsschilder, Ampeln und auch keine erkennbaren Regeln gibt.

 Mittendrin: Peter Heyderhoff mit den Mädchen und Jungen in Doddaballapur.

Mittendrin: Peter Heyderhoff mit den Mädchen und Jungen in Doddaballapur.

Foto: Alexander Rümmele

35 Grad im Schatten, die Luft ist trocken und stickig. Dann, endlich, ist es soweit: Heyderhoff (78) sieht die Kinder, für deren Sicherheit, Leben und Ausbildung er seit Jahren mit all seiner Kraft kämpft.

Und das zum allerersten Mal: Der studierte Informatiker hat das ganze Projekt jahrelang von Röttgen aus geplant, berechnet - und allein finanziert. Siebentausend Kilometer vom südindischen Doddaballapur entfernt, an seinem Computer sitzend, im ständigen Telefonkontakt mit einem einzigen Vertrauten vor Ort: seinem langjährigen Freund Arulappa Gerard.

Dabei hatte Heyderhoff etwas ganz anderes vor. Nach rund 45 Arbeitsjahren wollte er mit seiner Frau Rita das Leben genießen, mit seinen drei erwachsenen Kindern, er wollte die Welt bereisen. Doch kaum war das Berufsleben abgeschlossen, starb seine Frau überraschend an Krebs. Peter Heyderhoff trauerte - und packte das Leben dann beim Schopf. Für ihn, einen aktiven Christen und zeitlebens sozial engagiert, war rasch klar: Er wollte helfen, die Welt ein wenig zu verbessern. Er wählte Indien aus. Vor Jahren schon hatte er als Wissenschaftler indische Studenten betreut.

Zwischen 2005 und 2006 stampfte er aus dem Nichts und mit eigenen Mitteln eine kleine Krankenstation im Süden Indiens aus dem Boden. "Und zwar auf dem platten Land, dort, wohin sich Touristen nur selten verirren, und die Menschen in noch größerer Armut leben als in den Ballungszentren und ihren Slumgürteln." Wer dort krank wird, braucht Geld, oder Glück: Ärzte gibt es nur wenige, und eine gute Behandlung gibt es nur gegen Bares.

Kaum war das kleine Krankenhaus in Doddaballapur fertig, sah Heyderhoff: Es gab ja nicht nur bei der Versorgung von Patienten große Not. Besonders die Kinder brauchten Hilfe. Und er wusste: Neben der kleinen Klinik lag noch ungenutztes Bauland. Heyderhoff schaffte es, dort innerhalb von nur rund einem Jahr ein komplettes Kinderheim zu errichten. Auf drei Etagen, mit Schlaf-, Lern-, Spiel- und Essplätzen.

2013 war Richtfest fürs Kinderheim. Heyderhoff konnte zwar nicht persönlich teilnehmen, ließ es aber "Childrenshome Rita" nennen, im Gedenken an seine verstorbene Frau. Heute ist das Kinderheim das Zuhause für 65 Mädchen und Jungen zwischen fünf und 16 Jahren. Einige sind Vollwaisen, viele haben nur noch einen Elternteil, selten gibt es noch Mutter und Vater. Und bei allen waren oder sind die familiären Verhältnisse kritisch.

Wie bei der kleinen Rubiya. Sie ist sieben, lebt seit rund einem Jahr hier. Als sie fünf ist, verlässt ihr Vater die Familie, verschwindet spurlos. Eine verlassene Frau und Mutter - in Indien ist das häufig eine Brandmarkung: Die Frauen werden geächtet, müssen alleine sehen, wie sie überleben. Rubiyas Mutter lebt in slumähnlichen Verhältnissen: eine kleine Hütte, drei mal vier Meter, ein Steinboden, der auch zum Schlafen dient, keine Toilette, kein fließendes Wasser, kein Strom. Gekocht wird meistens Reis, auf einer Feuerstelle vor dem Haus.

Aber Rubiyas Mutter rappelte sich auf, fand einen Job als Haushälterin - und für Rubiya einen Platz in Heyderhoffs Kinderheim. Denn sie muss ja tagsüber arbeiten gehen. 2000 Rupien, rund 24 Euro, verdient sie im Monat; 500 Rupien kostet allein die Hütte. Auch in den ärmsten Vierteln ist Wohnraum, egal wie karg er ist, knapp und teuer. Und auch hier steigen die Mieten.

Gerade einmal 25 Euro kostet der Heimplatz für ein Kind. Heyderhoff zahlt den Betrag 60 Mal, Monat für Monat. Er ist Gründer und zugleich Hauptfinancier seines Projektes (www.ashraya.de). Er lebt sparsam, von seiner Rente bleibt nur ein kleiner Rest. Spender und Paten gibt es nur wenige - und sind dringend gesucht. Damit das Projekt weiter existiert, auch "wenn ich selbst einmal nicht mehr lebe". Das ist Heyderhoffs Ziel.

Im Kinderheim findet Rubiya wie alle anderen Kinder Geborgenheit und Sicherheit, genügend zu essen, ordentliche Kleidung - und vor allem die Chance auf Bildung. Denn zum geregelten Alltag gehört der Schulbesuch im Nachbarort. Lesen, Schreiben, Rechnen, Englisch. Heyderhoff weiß: Der einzige Weg aus den Slums führt über die Schulbank, doch ein Abschluss allein reicht noch nicht. Deshalb hat der rastlose Rentner schon ein neues Ziel vor Augen: seinen Kindern auch eine Berufsausbildung zu ermöglichen.

Und so macht sich Heyderhoff von Doddaballapur aus über Bangalore auf den Weg an die indische Ostküste. Sein Ziel: Chennai. Dort kümmert sich eine befreundete Hilfsorganisation seit Jahren erfolgreich um die Ausbildung älterer Kinder, die die Schule abgeschlossen haben. Im Lehrangebot: klassische Berufsziele wie Krankenschwester, Schlosser, Schweißer und Schreiner. Heyderhoffs sehnlichster Wunsch ist, dass seine Heimkinder dort später einmal einen Platz bekommen, wenn sie die Schule hinter sich haben und das Heim verlassen müssen. Sogar Ausbildungen für die IT-Branche werden in Chennai angeboten: Für den Informatiker Heyderhoff ist das natürlich etwas ganz Besonderes.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort