Kreuzberg in Bonn Dem Himmel so nah

Poppelsdorf · Eine Pfeilwurfreportage bezieht ihren Reiz aus der Unberechenbarkeit des Ziels. Der Autor wirft mit einem Dartpfeil auf eine Landkarte und besucht anschließend den betreffenden Ort. Idealerweise eine bislang nie besungene Gegend. Diesmal ist es anders.

 Die Heilige Stiege ist eine Kopie des Originals in Rom.

Die Heilige Stiege ist eine Kopie des Originals in Rom.

Foto: Jörg Manhold

Der Pfeil trifft den Kreuzberg in Bonn. Welch ein Pech, denn der ist so oft beschrieben. Und welch ein Glück, bietet das doch die Chance einer neuen Perspektive.

Los geht's am Fuße des Kreuzbergs in Poppelsdorf. Gerade dort wo die Wegeschilder in alle Richtungen zeigen. Wir entscheiden uns für den Stationsweg. Den Wallfahrtsweg, der auch zur Debatte steht, lassen wir rechts liegen. Die Geräusche der Stadt bestimmen hier noch die Atmosphäre. Es geht steil bergan, und mit jedem Schritt entfernen wir uns von der Welt dort unten. Dies ist der Fußweg der Wallfahrer. Und die nehmen selten die leichteste Route. Sie suchen das Kreuz und die Mutter Gottes. Beider wird dort oben in besonderer Weise gedacht.

Der Kreuzberg ist ein geistliches Zentrum von Bedeutung. Doch vor die Ankunft und das Gebet hat der liebe Gott den Schweiß gesetzt. Der Weg bleibt anstrengend und gibt den Blick zu beiden Seiten frei auf die Grabsteine des Poppelsdorfer Friedhofs. Ein altes Kreuz ist mit einem Rosenkranz geschmückt. Auf einem Gedenkstein liegt ein frisches Blumengebinde. Das in die Jahre gekommene, weiße Mausoleum der Endenicher Unternehmerfamilie Soennecken ist eines Blickes wert, weil es so monumental am Berghang klebt.

Immer wieder bereiten vielfach mit Rosen geschmückte Bilderstöcke mit Mariendarstellungen den Pilger auf das vor, was am Ende der Strapazen kommt. Die Heilige Stiege Balthasar Neumanns und die hölzerne Pietà in der Kreuzbergkirche. Und - nicht zu vergessen - die Schönstatt-Kapelle. Auf der Kuppe herrscht reger Betrieb. Menschen führen ihre Hunde Gassi. Andere wollen die Stiege sehen. Es ist die Kopie der Treppe zu Pilatus' Palast. Es sind die Stufen, die Jesus zu seiner Verurteilung emporkletterte. Diese unterwürfige Geste empfinden Christen am Karfreitag regelmäßig nach.

Wer einmal die Runde um die Kirche und das frühere Kloster macht, kann von einer schönen Rundumaussicht profitieren. Bei gutem Wetter ist sogar der Kölner Dom zu erkennen. Es macht Spaß zu entziffern, wo welche Gebäude zu erkennen sind. Und immer wieder Wald, Bäume, Grün. Hier ist von der Stadt nicht mehr viel zu hören. Neben der Kreuzbergkirche steht die Schönstattkapelle im großzügigen Garten des Internationalen Bildungsinstituts "Kreuzberg-Zentrum". Hier also auch wieder etwas Besonderes. Die Schönstattbewegung fördert seit genau 100 Jahren eine besondere Marienfrömmigkeit und betreibt nicht ganz so lange die Bildungsstätte dort.

Wir gehen zur Eingangstür und klingeln an. Eine indische Ordensschwester öffnet vorsichtig, bittet uns herein ins Wartezimmer mit dem Charme der 50er Jahre und ruft den Direktor. Er telefoniert noch. Der freundliche Herr heißt Dietger Kuller und leitet alles, was auf dem Kreuzberg so passiert. Was ist das denn? "Wir haben hier ein Sprachinstitut und vermitteln die deutsche Sprache", sagt Kuller. Zurzeit sind hier Menschen aus 25 Nationen, oft angehende Priester, die Deutsch lernen möchten.

"Die deutsche Theologie hat wichtige Texte, deshalb wollen die Menschen hier ihre Sprachkenntnisse verbessern", sagt der Direktor mit lächelnden Augen. Die Studenten bleiben zwischen zwei und neun Monaten, dann gehen sie an die Universität. "Wir schenken den Menschen Heimat in vielfältiger Weise, weil wir helfen, sich zurechtzufinden", sagt Kuller. Er selbst hat hier auch eine Heimat gefunden. "Ich liebe Bonn!", sagt er. Warum? Die Stadt sei überschaubar, belebt, habe so viele kleine schöne Plätze, Vielfalt eben. Balsamierende Worte für die Bonner Seele, die es zurzeit nicht leicht hat mit dem Stolz auf die eigene Stadt. Der Direktor empfiehlt noch den Besuch, der kleinen hölzernen Pietà in der Seitenkapelle der Kreuzbergkirche. Dort steht sie am Altar, geschützt von einem massiven Gitter. Das muss wohl so sein, in der heutigen Zeit.

Nach so viel Geistlichkeit müssen wir aber auch noch nach Spuren weltlichen Lebens suchen. Der Weg führt südlich Richtung Ippendorf. Hier reihen sich die Parkplätze, die zu Silvester selten frei bleiben, weil die Bonner den Blick auf die Raketenfontänen im Tal so lieben. Gegenüber liegen, weitgehend vor neugierigen Blicken geschützt, die großzügigsten Villen der Bundesstadt. Hier leben Ärzte und Professoren, viele inzwischen pensioniert. "Man kennt sich und ist freundlich zueinander", sagt eine Anwohnerin, die sich regelmäßig um ihren nicht mehr so mobilen Nachbarn kümmert - ein emeritierter Geschichtsprofessor, aber Namen tun nichts zur Sache. Hier oben lässt es sich gut leben, gleich hinter dem Wald ist eine große Tennisanlage, ansonsten herrscht hier die Ruhe.

Aber wo ist nun genau der Ort, den die Pfeilspitze auf der Karte getroffen hatte? Ich blicke in die Karte und muss den Weg verlassen. Durchs Dickicht einer Böschung. Hier muss es sein! Ich habe Glück. Genau an der Stelle, wo der Pfeil gelandet war, tut sich plötzlich ein verwunschener Garten auf. Hinter dem Zaun hängt eine selbst gezimmerte Schaukel am Baum, mit bunten Schnüren verziert. Hier möchte man Kind sein, hoch über der Stadt mit dem Blick auf das Bonner Münster. Ein Gedanke schleicht sich ein, der sich auf meinem Weg geformt hat. Hier oben ist man dem Himmel so nah.

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