Bonner Friedhöfe Bedrohte Kulturgeschichte: Verfall nimmt zu

BONN · Anne Becher besucht oft das Grab ihres Onkels auf dem Poppelsdorfer Friedhof. Der Mann war für sie wie ein Vater. Ihren leiblichen Vater hat die 76-Jährige nie kennengelernt, er starb früh. 20 Jahre ist der Onkel auf dem Kreuzberg begraben. "Der Friedhof hat sich seither sehr verändert.

 Grabmal in Schieflage: Diese historische Stele auf dem Poppelsdorfer Friedhof wurde notdürftig gesichert.

Grabmal in Schieflage: Diese historische Stele auf dem Poppelsdorfer Friedhof wurde notdürftig gesichert.

Foto: Volker Lannert

Er wirkt viel ungepflegter als früher und außerdem verwahrlosen die schönen alten Gräber", sagt sie und zeigt auf eine Grabstelle, an der ein stark verwitterter Stein aus dem 19. Jahrhundert von einer ganzen Familie erzählt, die dort ihre letzte Ruhe gefunden hat.

Auf dem Grab wuchert längst Unkraut und aus dem Stein ist ein Stück herausgebrochen, das daneben auf dem Weg liegt. Rund um die Friedhofskapelle liegen viele solcher alten Gräber. Auch sie sind dem Verfall ausgesetzt. Die Inschrift auf den Steinen ist teilweise so verwittert, dass sie kaum noch zu entziffern ist.

An manchen Gräbern gehen auch die Randeinfassungen langsam aus den Fugen, weil offensichtlich niemand mehr da ist, der sie richtet. Normalerweise räumt die Stadt Bonn Stein und Grabeinfassungen von Gräbern ab, deren Nutzungsdauer abgelaufen ist und von Angehörigen nicht verlängert wurde. Dass immer mehr Angehörige Gräber aufgeben, ist nicht zu übersehen.

Gut die Hälfte aller auf den 40 Bonner Friedhöfen ist Marc Hoffmann vom städtischen Presseamt zufolge zurzeit nicht belegt. Stehen bleiben dürften lediglich die Grabsteine, die unter Denkmalschutz stehen. Um die kümmere sich die Stadt Bonn mit den zuständigen Stellen, wie das städtische Gebäudemanagement, die Untere Denkmalbehörde und das Amt für Stadtgrün.

[kein Linktext vorhanden]Doch weil die Stadt bekanntlich klamm ist, kann auch auf den Friedhöfen offensichtlich nur noch das Nötigste ausgeführt werden. "Wenn schon nicht genügend Geld für die Straßen und Schulen da ist, dann reicht es für die Friedhöfe erst recht nicht", meint Frank Dohr, Obermeister der hiesigen Bildhauer- und Steinmetzinnung. Seine Sorge: Mit dem fortschreitenden Verfall auf den Friedhöfen gehe auch ein Stück Kulturgeschichte verloren.

Grabsteine auf dem Poppelsdorfer Friedhof
12 Bilder

Grabsteine auf dem Poppelsdorfer Friedhof

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Dohr hat dabei auch den Zustand der Wege und des Grüns im Blick. Auch hier müsse seiner Ansicht nach mehr getan werden. "Wir müssen die Friedhöfe wieder attraktiver machen, vor allem im Sinne von Erhaltung", ist er überzeugt. Die zunehmende Bestattungsart in Urnengräbern, aber auch mehr und mehr auf Friedhainen und in Friedwäldern sieht er als Ausdruck des Zeitgeists. Und des Kostendrucks: Denn je weniger Grabstellen genutzt werden, desto höher steigen die Friedhofsgebühren.

Grundsätzlich gelte im kommunalen Abgabenrecht das Kostendeckungsprinzip, so Hoffmann. Im Zuge der Gebührenkalkulation für die zurzeit geltende Gebührenordnung sei von Friedhofsunterhaltungskosten von 3,9 Millionen Euro ausgegangen worden. Inwieweit die seinerzeit kalkulierten Ausgaben und Einnahmen für das Jahr 2013 auch tatsächlich in allen Bereichen Realität geworden seien, könne noch nicht gesagt werden, da die entsprechenden Betriebsabrechnungen gerade erstellt würden.

Über die künftige Gebührenhöhe könne deshalb derzeit noch keine Angabe gemacht werden. Dass die Gebühren angesichts des hohen Leerstands wohl weiter steigen werden, davon sind die Experten überzeugt. Doch schon jetzt liegt Bonn bei seinen Friedhofsgebühren in NRW mit an der Spitze.

Beispiel: Für eine Sargbestattung im Wahlgrab werden 4300 Euro fällig. In Solingen zahlen die Angehörigen rund 3000 Euro weniger. "Das ist geradezu ein Teufelskreis", seufzt Dohr. Auch Wilhelm Becker vom Bestatterverband Bonn beobachtet eine regelrechte "Bestatterflucht". Dagegen müsse man etwas unternehmen, meint er. "Ich kämpfe für die Erhaltung unserer Friedhöfe, weil sie unsere Kultur sind und unsere Verstorbenen zu uns, zur Gemeinschaft der Lebenden gehören", sagt Becker.

Bonn sei einmalig mit seiner Vielzahl an Friedhöfen, dadurch aber auch recht teuer. "Ein Patentrezept, wie wir den Kreislauf durchbrechen können, habe ich nicht. Wir werden uns aber mit der Stadt Bonn zusammensetzen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen", kündigte Becker an.

Die Bonner Friedhöfe

In Bonn gibt es 40 Friedhöfe mit rund 109.000 Grabstätten auf einer Gesamtfläche von rund 1,2 Quadratkilometern. Der größte Friedhof ist der Nordfriedhof. Dort finden jährlich rund 600 Beerdigungen statt. Nahezu jede zweite Grabstelle aller Bonner Friedhöfe wird laut Stadtverwaltung derzeit nicht genutzt.

Der Trend geht weiterhin zur Urnenbestattung, die inzwischen mehr als 60 Prozent ausmacht. Stark zugenommen haben auch neuere Bestattungsarten etwa auf dem Aschenfeld oder Friedhain. Die letzte Gebührenerhöhung hat der Stadtrat 2012 beschlossen.

Danach stiegen die Gebühren unter anderem für ein Wahlgrab um 40 Prozent. Eine ursprünglich von der Verwaltung vorgeschlagene Schließung der Friedhöfe Dottendorf und Alt-Kessenich hat der Rat vertagt und bisher nicht wieder aufgegriffen.

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