Abendrealschule Bonn 70 Prozent der Absolventen haben einen Migrationshintergrund

BONN · Als Hans-Peter Zölfel 1988 mit 37 Jahren bei der Bonner Abendrealschule als Lehrer anfing, waren viele seiner Schüler in seinem Alter. Neben erwachsenen Bonnern, die mitten im Leben standen und einen Schulabschluss nachholen wollten, saßen nur selten Jugendliche im Unterricht. Statt dessen gesellten sich Akademiker aus dem Ausland hinzu, die in der Region Fuß fassten und Deutsch lernten.

 Ein großer Moment für jeden Einzelnen: Andrea Kaminski verteilt die Abschlusszeugnisse an die Schüler.

Ein großer Moment für jeden Einzelnen: Andrea Kaminski verteilt die Abschlusszeugnisse an die Schüler.

Foto: Nicolas Ottersbach

"Das war eine ganz andere Klientel als heute", sagt Zölfel. Momentan werden rund 500 Studierende aus über 50 Ländern unterrichtet, etwa 70 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. "Wir sind mittlerweile ein Auffangbecken für die Menschen, die nirgendwo sonst eine zweite Chance für einen Schulabschluss bekommen haben", so Schulleiter Reinhold Kreutzkamp.

Seit 50 Jahren gibt es die Abendrealschule (ARS) in Bonn, die als zweite Ihrer Art in Nordrhein-Westfalen mit etwa 80 Berufstätigen in Tannenbusch angefangen hatte. "Immer wieder brach die Schule auf, neue Wege in der Weiterbildung zu gehen", sagte Kreutzkamp, der das Weiterbildungskolleg seit 2003 leitet. In den 80ern wurden die Kurse für alle Bürger geöffnet, nach und nach rutschte der Unterricht im Tag nach vorne.

"Mittlerweile sind wir keine reine Abendschule mehr", so Kreutzkamp. Auch Vor- und Nachmittags sind die Räume in der Karlsschule, in die man vor einigen Jahren umzog, gefüllt. Mit dem Programm "Praktikum und Schule" können die jungen Erwachsenen ihren Hauptschulabschluss nachholen. In einem speziellen Kurs werden für Mütter und Väter Hortplätze für die Kinder vermittelt, damit sie den Unterricht besuchen können.

Für die Zukunft wünscht sich Kreutzkamp, noch flexibler sein zu können: Die Studierenden bräuchten nur noch selten in den Unterricht kommen, stattdessen lernten sie zu Hause und legten trotzdem ihre Prüfungen ab. "So erreichen wir auch die, die nicht zu uns kommen möchten", sagte Kreutzkamp. Denn für viele sei die ARS die einzige Möglichkeit, noch einen Schulabschluss zu erlangen.

Das sah auch Abdelhakim Boushouaf so. Der 26-Jährige, der bis 2005 selbst die ARS besuchte, hielt beim Festakt eine ergreifenden Rede. "Wer hierhin kommt, hat versagt, wir sind Verlierer." Aber wer seine Chancen an der Abendrealschule nutze, könne ein Gewinner werden und in ein neues Leben starten.

70 Studierende des jetzigen Abschlusssemesters haben genau das vor. "Anfangs war es ungewohnt, aber jetzt haben wir es geschafft", sagte Neslihan Cayoglu, als sie ihr Zeugnis in den Händen hielt.

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