Ohne eigenes Auto in Bonn geht's auch "Ich würde jedes Mal weinen"

BONN · Die Familie Krause/Riefstahl aus Kessenich muss nicht an die Tankstelle. Sie lebt ohne Auto und fühlt sich dadurch freier.

Cornelia Krause und Jens Riefstahl haben ihre Entscheidung noch nie bereut. Das Paar lebt mit seinen beiden Söhnen ohne Auto und ist sehr zufrieden damit. "Wir haben nie eines gebraucht", sagt Cornelia Krause. Und ihr Mann ergänzt: "Ich habe immer so gewohnt und gearbeitet, dass ich kein Auto brauche." Spätestens beim Umzug in die heutige Wohnung in Kessenich vor vier Jahren haben die beiden ganz gezielt so nach einer Bleibe gesucht, dass kein Auto nötig ist.

"Wir haben kurze Wege im Alltag, und Kessenich hat eine gute Nahversorgung", erklärt Cornelia Krause. Die Kindertagesstätte für den fünfjährigen Sohn Hannes liegt auf dem angrenzenden Grundstück, der achtjährige Tim fährt mit dem Roller in die nahe Erich-Kästner-Schule. Krause arbeitet in der Verbraucherzentrale an der Reuterstraße - leicht mit dem Fahrrad zu erreichen. Ihr Mann organisiert in Bornheim auf einem Biohof ein Gemüseabo. Die 14 Kilometer zu seiner Arbeitsstelle fährt er mit dem Rad - bei Wind und Wetter. "Wir hatten mal für einige Wochen das Auto meines Bruders. Das hat mich nicht glücklich gemacht."

Die Unberechenbarkeit des Verkehrs in der Region sei für ihn ausschlaggebend. "Ich weiß, dass ich mit dem Fahrrad 45 Minuten brauche und kann das einplanen." Mit dem Auto habe er zwischen 20 und 80 Minuten für die Strecke benötigt. "Da werde ich lieber mal nass", sagt Jens Riefstahl. Die tägliche Fahrt zur Arbeit genießt er auch. Während man sich im Auto ständig konzentrieren müsse, könne er auf dem Rad abschalten.

Während Cornelia Krause ihre Diplomarbeit schrieb, besaß sie ein Auto, weil die Geografin viel Feldforschung betrieb. Die Zeit vermisse sie jedoch nicht. "Ich fand es lästig, weil es teuer ist, und man sich ständig kümmern muss." So ein Auto sei im negativen Sinn noch ein Familienmitglied mehr. Und hätte sie heute eines, "ich würde jedes Mal an der Tankstelle weinen", sagt sie. "Ein Leben ohne Auto finde ich freier."

Dass sich die Familie für ein Leben ohne eigenes Auto entschieden hat, heißt nicht, dass sie nicht auch hin und wieder eines nutzt. So haben Cornelia Krause und Jens Riefstahl Carsharing probiert oder leihen das Auto ihrer Nachbarn. Und für den anstehenden Urlaub mit Zelten mieten sie einen Wagen. "Das ist teuer, aber immer noch günstiger, als ein Auto zu kaufen und zu unterhalten", sagt Cornelia Krause.

Selbst für die seltenen und unvorhersehbaren Situationen, dass etwa ein Kind mal dringend ins Krankenhaus muss, sei ein Taxi eh die bessere Variante. Jens Riefstahl macht eine Mobilitätsrechnung auf. "Wenn man aufs Auto verzichtet, kann man sich ein gutes Fahrrad oder ein Jobticket leisten." Für die beiden Jungen sind die seltenen Autofahrten etwas Besonderes. "Ich fahre gern mit dem Auto", sagt Hannes. Tim hingegen zieht die Bahn vor, weil ihm da nicht so schnell übel werde.

Cornelia Krause und Jens Riefstahl haben beide Geografie studiert, ein Fach, das sich viel mit der Nutzung von Räumen beschäftigt. Schon während des Studiums in Trier ist Cornelia Krause zu der Überzeugung gelangt: "Wir leben besser in Städten mit weniger Autos." Für sie sind nicht nur die Schadstoffe und der Lärm, den Autos verursachen, ausschlaggebend. "Es ärgert mich, wenn Sachen Raum wegnehmen, die nicht gebraucht werden", sagt sie. Für viele Autos in der Stadt, vor allem große, sei das der Fall.

Bonner Klimahelden

In dieser Serie stellen wir Menschen in Bonn vor, die sich auf ganz unterschiedliche Weise - im Beruf, im Verein oder der Familie - für den Klimaschutz einsetzen. Kennen auch Sie Klimahelden? Schreiben Sie an klimahelden@ga.de.

Kosten und Routen

Der ADAC bietet auf seiner Seite www.adac.de/autokosten einen Rechner an, der die tatsächlichen Kosten eines Autos je Kilometer ausrechnet und es so besser mit anderen Verkehrsmitteln vergleichbar macht. Über Mobilität in Bonn informiert die Verbraucherzentrale NRW auf ihrer Seite bonn.neustart-klima.de/mobil. Von einer Tarifübersicht über Busse und Bahnen bis hin zu Fahrradverleihern und Carsharing-Kontakten bietet die Seite einen breiten Überblick über Fortbewegungsmöglichkeiten in der Bundesstadt. Über verschiedene Verkehrsmittel informiert der VCD auf www.vcd.org/ verkehrsmittel-vergleich.html und auf www.radroutenplaner.nrw.de werden Nutzer auf gut befahrbare und ausgeschilderte Radwege geführt.

Kurz gefragt

Der Bonner Geograf, Stadtplaner und Verkehrsexperte Heiner Monheim war von 1995 bis 2011 Professor für Angewandte Geografie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier. Seine Schwerpunkte sind Mobilität, speziell Fuß- und Radverkehr, öffentlicher Verkehr sowie Städtebau und Verkehr.

Ist es schwer, in Bonn ohne Auto auszukommen?
Monheim: Es fällt am leichtesten, wenn man mitten in der Stadt wohnt. Tatsache ist, in Bonn leben viele Menschen mittendrin. Etwa drei Viertel aller Bonner Haushalte leben in Strukturen, in denen es leicht wäre, aufs Auto zu verzichten. Tatsächlich sind es etwa 35 Prozent der Haushalte. In anderen Großstädten sind es bereits 40 Prozent. In Bonn profitiert übrigens auch der Einzelhandel erheblich vom Autoverzicht. In den Gründerzeitvierteln erledigen etwa 70 bis 75 Prozent der Menschen ihre Einkäufe zu Fuß.

Wie sehen denn Strukturen aus, in denen es ohne Auto klappt?
Monheim: Dicht besiedelte und gemischte Gebiete mit Wohnungen und anderer Infrastruktur, gute Anbindungen zum ÖPNV und geringe Entfernungen zu Knotenpunkten des überregionalen Verkehrs. Das haben in Bonn alle Stadtbezirke mit ihren Bahnhöfen, mit Ausnahme des Hardtbergs vielleicht, der aber durch die Haltepunkte der RB 23 auch gewonnen hat.

Die Straßen in Bonn sind trotzdem ständig mit Autos verstopft. Wie kann man die Situation verbessern?
Monheim: Das Drama in Bonn ist, dass die Bürger schon viel weiter sind, als die Politik das wahrnimmt. Sie ist nach wie vor autofixiert. So haben Stadt und Politik es bisher nicht geschafft, gut sichtbare Plätze für Carsharing-Autos nach dem Vorbild von Taxiständen zuzulassen. Auch ein Leihfahrrad-System, für das es gute Vorbilder und Konzepte gibt, hat Bonn bisher nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort