Theaterrundgang durch das geschäftige Bonn Das feine "Closetpapier" soll es sein

Bonn · Getrocknete Erbsen, zwei Pfund Weißzucker, ein Suppenhuhn (aber kein zähes), Pulvershampoo und eine Aufsetzscheibe für den Fleischwolf stehen auf dem Einkaufszettel für den Haushalt vom Herrn Geheimrat. Und dann noch zwei Dutzend Rollen "Closetpapier" vom Papierhändler J. F. Carthaus.

 Perle Berta alias Britta Bücher (links) mit Stadtführerin Petra Clemens vor dem Schaufenster der ehemaligen Klempnerei van Dorp.

Perle Berta alias Britta Bücher (links) mit Stadtführerin Petra Clemens vor dem Schaufenster der ehemaligen Klempnerei van Dorp.

Foto: Martin Wein

Zwei Dutzend Rollen! Berta, das Hausmädchen, ist ganz außer sich, zumal Frau Geheimrat nicht das Holzpapier wünscht, sondern das extrafeine Bonner. Zum Glück kann Berta den Ladenknecht gewinnen, die pikante Fracht frei Haus zu liefern.

So bleibt Perle Berta (gespielt von Britta Bücher) neben dem Einholen hier und da etwas Zeit für ein Schwätzchen mit den interessierten Bonnern, die sich am dritten Advent mit Stadtführerin Petra Clemens vom Verein "StattReisen" auf einen ausgesprochen unterhaltsamen Theaterrundgang durch die Bonner Warenwelt im Jahr 1906 begeben. Der Erlös der kurzweiligen Sonderführung und die Honorare der beiden Damen fließen vollständig an die Aktion Weihnachtslicht des General-Anzeigers, um bedürftigen Senioren in der Region die eine oder andere Freude zu ermöglichen.

Über einen Mangel an Abwechslung muss man sich auch in der nach Frankfurt/Main, Wiesbaden und Charlottenburg reichsten Stadt im Deutschen Reich kurz nach der Jahrhundertwende nicht beklagen. Der Feurige Elias rumpelt durch die Friedrichstraße. Karrenhunde ziehen regionale Produkte auf den Markt. Beim Delikatessenhändler sind gerade Ananas der letzte Schrei. Und Frau Schwippert in der Bonngasse hat nicht nur das sensationelle Backpulver vom Doktor Oetker frisch reinbekommen, sondern weiß auch, "wer ein neues Hausmädchen hat - und wer sich keins mehr leisten kann", verrät Berta im Vertrauen.

Manchem Bewohner geht es in der Rentiers- und Beamtenstadt Bonn 1906 schon entschieden zu laut und turbulent zu. Beschwerden richten sich nicht nur gegen "den Kinomatographen" am Markt - das erste Lichtspieltheater ist gleich abgebrannt. Nach Ansicht des Wachtmeisters verursachen Filme schließlich eine gefährliche Reizüberflutung. Proteste gibt es auch gegen Radfahr-Rowdies, weiß Stadtführerin Clemens zu erzählen. Dabei fährt Rad wegen der hohen Anschaffungskosten nur, wer ordentlich Geld im Säckel hat. Professoren zum Beispiel. Seit 1900 gilt deshalb die Pflicht zur Radfahrkarte, die Vorläuferin des Führerscheins. Wer keine vorweisen kann, zahlt zehn Pfennig Strafe.

Andererseits bietet die Zeit um die Jahrhundertwende viele Neuerungen, die nicht nur Berta ins Schwärmen bringen. Erstmals laden große Scheiben aus Flachglas zum Schaufensterbummel ein. Bei Vollmer gibt es Shampoo-Pulver von Schwarzkopf, mit dem man die Haare richtig einschäumen kann. Herr Dancker verkauft neben Operngläsern, Kneifern und Monokeln auch feinmechanisches Spielzeug. Im Kaufhaus von Leonhard Tietz kann jeder sich von einem grün livrierten Fahrstuhlführer durch die Etagen fahren lassen. "Die Oberschicht empfindet das fast als demokratische Verhältnisse", erklärt Petra Clemens bei der Führung. Für Gesprächsstoff ist jedenfalls gesorgt.

Fast zwei Stunden vergehen trotz feuchtkaltem Dauergrau so fast unbemerkt. Erstaunlich bei dem Stadtbummel in kundiger Begleitung ist, wie viel aus der Zeit vor einem Jahrhundert sich trotz aller Modernisierungswellen bis heute in Bonns Innenstadt erhalten hat. Den Handwerker in der Wenzelgasse gibt es allerdings nicht mehr, der 1906 noch die Straußenfedern für die pompösen Damenhüte aufarbeitete.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort