Regierungssitz Bonn auf dem Prüfstand Arbeitsstab schon seit Wochen aktiv

BONN · Claudia Lücking-Michel wirkte überrascht. Sie war auf dem Weg in den Urlaub, als der GA sie am Freitag nach dem Arbeitsstab fragte, der sich im Bundesumweltministerium schon seit Wochen mit Bonns Rolle als Regierungssitz befasst.

 Ministerin Barbara Hendricks ist die Umzugsbeauftragte.

Ministerin Barbara Hendricks ist die Umzugsbeauftragte.

Foto: dpa

Ministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte der Bonner CDU-Bundestagsabgeordneten offenkundig noch nicht mitgeteilt, dass sie vor der nächsten Bundestagswahl über die Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin sprechen will. Auch Norbert Röttgen (CDU), Abgeordneter aus dem Rhein-Sieg-Kreis, wusste am Freitag nach eigenen Angaben nichts von dem Projekt.

"Die Einhaltung des Gesetzes ist im Koalitionsvertrag verankert"

Katja Dörner dagegen schon. "Ich habe vom Arbeitsstab gehört", sagte die Bonnerin, die für die Grünen im Bundestag sitzt. Alles, was von Ministerin Hendricks als Umzugsbeauftragter vorgeschlagen werde, könne aber nur im Konsens mit Bonn und der Region umgesetzt werden, unterstrich die Abgeordnete. Grundlage müsse das Berlin/Bonn-Gesetz sein. Das bekräftigte auch Lücking-Michel. "Die Einhaltung des Gesetzes ist im Koalitionsvertrag verankert, und wir werden weiter dafür kämpfen", so die CDU-Politikerin. Änderungen seien für sie nur denkbar, wenn sie dem Geist des Gesetzes entsprächen.

Welchen konkreten Auftrag der Arbeitsstab im Ministerium hat, ließ die Pressestelle am Freitag trotz Anfrage offen. Das Thema scheint Hendricks allerdings wichtig zu sein. "Mit einem Unterabteilungsleiter hat der Stab eine hochkarätige Führung", sagte ein erfahrener und gut verdrahteter Gewerkschafter in Berlin. "Damit kommt eine gewisse Dynamik in die Sache." Die Gruppe von bislang drei Beamten soll noch "aufgefüllt" werden, wie aus Bonner Quellen zu hören ist. Nach der Analyse der aktuellen Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn soll sie offenbar Vorschläge für eine Neugestaltung entwickeln. Dabei geht es nach GA-Informationen auch um die Frage, wie der Standort Bonn gestärkt werden könnte - etwa durch neue Oberbehörden wie das wachsende Bundesamt für Justiz.

Nur noch 38 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze sind in Bonn

Justizstaatssekretär Ulrich Kelber (SPD) berichtet von einem "guten Gespräch" mit dem Arbeitsstab. Er habe dabei über Aspekte gesprochen, die für Bonn besonders wichtig seien: etwa die Rolle als internationale Stadt und Wissenschaftsstandort. "Ich habe Vertrauen zur Ministerin", erklärte der Bonner Kelber. "Frau Hendricks ist nicht Herr de Maizière."

Der frühere Verteidigungsminister hatte die Verlagerung von Dienstposten von der Hardthöhe nach Berlin massiv vorangetrieben. Auch als Innenminister holte Thomas de Maizière (CDU) in diesem Jahr weitere 102 Dienstposten in die Hauptstadt. Das Innenministerium hat damit jetzt 1162 Stellen in Berlin und 201 in der Bundesstadt. Zum Stichtag 30. Juni 2015 hatte die gesamte Bundesregierung nur noch 38 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn, was für Kelber, Lücking-Michel und Dörner ein "krasser Bruch des Gesetzes" ist.

Der Trend setzt sich im Finanzministerium fort (Berlin: 1595 Stellen, Bonn: 377). Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) verlagert ab der zweiten Jahreshälfte 128 Dienstposten der Abteilung Zoll, Umsatzsteuer und Verbrauchssteuern nach Berlin. Im Gegenzug wird in Bonn zum 1. Januar 2016 eine neue Oberbehörde eingerichtet, die Generalzolldirektion. Sie nimmt auch Aufgaben wahr, die bisher die Ministeriumsabteilung erledigt hat, und soll etwa 200 Bedienstete haben. Damit schaffe der Bund die fünfte große Behörde der Finanzverwaltung in Bonn, hob das Ministerium hervor - nach der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, dem Zentralamt für Steuern, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Zentrum für Informationsverarbeitung.

Berlin/Bonn-Gesetz regelt Postenverteilung

In Paragraf 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes steht, dass "der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien" in Bonn bleiben soll. Doch das zuständige Bundesinnenministerium wertet das als reine "Soll-Vorschrift". Die Regelung sei gewählt worden, um Kanzlern und Ministern "Spielraum für zeitbedingte Anpassungen" zu lassen. Ein Rechtsgutachten im Auftrag Bonns und der Kreise Rhein-Sieg und Ahrweiler kam zu einem anderen Resultat: Die Abwanderung von Dienstposten nach Berlin sei ein Rechtsbruch - der aber nicht einklagbar sei. Das Gesetz verlangt die "Sicherstellung einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung". In Bonn sollen "politische Funktionen" etwa in den Bereichen Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung, Umwelt und Gesundheit, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik und Verteidigung erhalten bleiben.

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