Folge des gesetzlichen Mindestlohns Weniger Taxen in der Nacht

BONN · Stundenlang im Zug gesessen und jetzt nur schnell nach Hause. Doch für die letzten Kilometer wird so mancher Bonner in Zukunft Geduld aufbringen müssen. Die Zeiten, in denen gleich mehrere Taxen vor dem Hauptbahnhof auf Fahrgäste warten, gehören wahrscheinlich schon bald der Vergangenheit an.

 Gewerkschaftsmitglieder verteilen am Bonner Hauptbahnhof Broschüren, mit denen sich Beschäftigte über den neuen gesetzlichen Mindestlohn informieren können.

Gewerkschaftsmitglieder verteilen am Bonner Hauptbahnhof Broschüren, mit denen sich Beschäftigte über den neuen gesetzlichen Mindestlohn informieren können.

Foto: Nicolas Ottersbach

"Wir haben keine andere Wahl", erklärt Claus Trautmann vom Vorstand der Bonner Taxizentrale. "Wir werden weniger Fahrzeuge einsetzen."

Er führt dafür gleich zwei Gründe an: den gesetzlichen Mindestlohn und die aus seiner Sicht viel zu niedrig bewilligte Tariferhöhung. Gefordert hatten die Taxifahrer einen Aufschlag von zehn Prozent, der Bonner Stadtrat genehmigte jedoch wie berichtet nur 5,6 Prozent.

Die "schlechten Schichten" werden in Zukunft deshalb mit weniger Fahrzeugen bedient. "Montag-, Dienstag- und Mittwochnacht werden wir mit reduzierter Flotte unterwegs sein", so Trautmann. Angeschlossen an die Taxizentrale sind 320 Fahrzeuge, die von 150 Unternehmern betrieben werden.
"Wer nur einen Wagen hat und diesen selbst steuert, der kommt besser weg. Wer aber mehrere Taxen fahren lässt und Mindestlohn zahlen muss, der wird nur schwer über die Runden kommen", so Trautmann. Ab 26. Januar gelten die neuen Tarife. "Wir müssen jetzt erst einmal die nächsten Wochen abwarten und Einnahmen sowie die Lohnkostenentwicklung verfolgen."

Keine Probleme mit dem Mindestlohn hat "Buhl", die Gesellschaft für Personal-Service und Gastronomie. "Wir haben schon immer mehr bezahlt", erklärt Frank Phiester von der Bonner Niederlassung. 80 Mitarbeiter arbeiten in Voll- und Teilzeit oder als Aushilfen für das Unternehmen.

Für Andreas Stommel vom Deutschen Speditions- und Logistikverband mit Sitz in Bonn bereitet das neue Gesetz ganz andere Probleme. "Die Speditionsbranche war nie ein Niedriglohnsektor. Hier wurde schon immer nach Tarifvertrag bezahlt", so der Arbeitsrechtler. "Wir wehren uns aber gegen die Auftraggeberhaftung. Denn damit trägt ein Spediteur auch die Verantwortung dafür, dass selbst Subunternehmer und Sub-Subunternehmer entlang der ganzen Transportkette den Mindestlohn bezahlen. Damit haftet ein Unternehmer, der selbst nach Tarif bezahlt, für seine Vertragspartner", so Stommel.

Nicht der Mindestlohn ist für die Handwerksbetriebe in der Region das Problem, sondern die lästige Dokumentationspflicht, beobachtet Elke Siewert, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Bonn Rhein-Sieg. In bestimmten Bereichen und für geringfügig Beschäftigte müssen Arbeitgeber nun die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter genau auflisten.

"Generell", so die Kreishandwerks-Geschäftsführerin, "gibt es in unserer Region keine Probleme mit dem Mindestlohn." In den eher niedrig entlohnten Handwerksbereichen werde es allenfalls schwierig werden, Jugendliche für eine Ausbildung zu motivieren, wenn sie als "Gelernte" kaum mehr verdienen als den Mindestlohn. Während die Befürworter des neuen Gesetzes gerne betonen, dass rund 3,7 Millionen Menschen von der Regelung profitieren, befürchten Kritiker, dass dadurch Arbeitsplätze verloren gehen.

"Bis jetzt haben wir von keiner Kündigung erfahren, die mit der Einführung des Mindestlohns in Verbindung steht", so Lars Normann, Sprecher der Agentur für Arbeit in Bonn/Rhein-Sieg.

Um Beschäftigte über das neue Gesetz aufzuklären, informierten Mitglieder des DGB-Kreisverbandes Bonn/Rhein-Sieg Pendler in der Region. Am Bonner und am Siegburger Bahnhof verteilten sie gestern Broschüren. "Die Einführung des Mindestlohns ist ein großer Erfolg für den DGB und seine Gewerkschaften", erklärte DGB-Chef Ingo Degenhardt. "Jetzt ist es wichtig, dass er auch flächendeckend umgesetzt wird. Die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten wissen, was sich mit dem neuen Gesetz für sie ändert. Nur dann können sie ihre Rechte auch durchsetzen."

DGB: 13 500 Beschäftigte profitieren in der Region

Laut DGB-Berechnungen mussten in der Region Bonn/Rhein-Sieg bisher etwa 13.500 Vollzeitbeschäftigte mit weniger als 8,50 Euro Stundenlohn auskommen. Nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit heißt dies, dass sieben Prozent der insgesamt 200.000 Beschäftigten in Stadt und Kreis nun von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns profitieren werden.

Der Kreisverband des DGB-Bonn/Rhein-Sieg geht davon aus, dass bei den 90.000 sozialversicherungspflichtig und geringfügig entlohnten Beschäftigten (Bonn: 36.300; Rhein-Sieg-Kreis: 53.700, Stichtag 31. März 2014) der Anteil derjenigen, die vom Mindestlohn profitieren werden, noch deutlich höher liegt. In den letzten zehn Jahren erhöhte sich diese Zahl in der Gesamtregion um knapp 16.000. Das kommt einer Steigerungsrate von 17,5 Prozent gleich.

Der Vorsitzende des DGB-Kreisverbandes Bonn/Rhein-Sieg, Ingo Degenhardt, legt weitere Zahlen vor: "In der Arbeitsmarktregion Bonn/Rhein-Sieg sind im geringfügig entlohnten Bereich 62 Prozent Frauen und 38 Prozent Männer beschäftigt." Am häufigsten arbeiten sie in Dienstleistungsbetrieben, im Handel und im Gastgewerbe. Degenhardt ist überzeugt, dass der Mindestlohn zu mehr Gerechtigkeit führen wird. Auch die Akzeptanz bei den Unternehmen werde zunehmen. Wichtig sei allerdings eine Überwachung.

Der Mindestlohn

Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Er gilt für Beschäftigte ab dem 18. Geburtstag oder bei abgeschlossener Berufsausbildung.

Um Langzeitarbeitslosen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, sollen sie in den ersten sechs Monaten auch unter Mindestlohn bezahlt werden können. Für einige Branchen wurden längere Übergangsfristen vereinbart.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort