Kommentar Wächter der Tugend

Bonn · Den aktuellen Vorfall beschreibt man wohl mit: dem Staat auf der Nase herumtanzen. Nach der aufsehenerregenden "Sharia-Police"-Aktion Anfang des Monats, die das NRW-Innenministerium bemerkenswert schnell durchkreuzte, durfte man noch konstatieren: Gut gebrüllt Löwe alias deutscher Staat.

Den Fall nahm der Staat - zu Recht - sehr ernst, sogar die Kanzlerin empörte sich seinerzeit über die muslimische Sittenpolizei. Indes gebracht hat es - nichts. Denn die selbst ernannten salafistischen Tugendwächter laufen offensichtlich weiter des Nachts durch die Straßen und versuchen Leuten die Leviten zu lesen.

Man könnte versucht sein, das Ganze zu relativieren. Natürlich sind solche Aktionen aus Sicht des gesunden Menschenverstandes nur eines: absolut lächerlich. Und natürlich hat die Welt wesentlich drängendere Probleme - man denke nur an die Ebolakatastrophe - zu lösen als die, wie sie einer kleinen Gruppe von Wichtigtuern Paroli bieten kann.

Und doch steht die "Scharia-Polizei" für ein Phänomen, das man nicht unterschätzen sollte: Der Tugendterror, ausgeübt von strengreligiösen Muslimen auf die Glaubensbrüder, wächst. Es gibt, das belegen Aussagen von Behörden und Pädagogen, zahlreiche Versuche auch an Bonner Schulen und auf Bonner Straßen, Kinder und Jugendliche unter Druck zu setzen: Kleide dich züchtig, halte dich von Ungläubigen fern, verteidige deinen Glauben - wie, wo und mit was auch immer. Stichwort Syrien.

Die Spaltpilze, die sich selbst als Tugendwächter sehen, versuchen, jeden Andersdenkenden mit Gedanken zu infizieren, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Sie sind homophob, frauenfeindlich, antisemitisch. Doch ihre Bewegung wächst.

Und Staat und Gesellschaft stehen dem hilflos gegenüber.

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