Stadtverwaltung Bonn Stehen die Kammerspiele vor dem Aus?

BONN · Nicola Bramkamp reagierte schnell und heftig. In einem offenen Brief nahm die Bonner Schauspieldirektorin zum Vorschlag der Stadtverwaltung Stellung, den Zuschuss für Oper und Schauspiel bis 2023 um acht Millionen Euro zu kürzen.

"Fakt ist, dass man acht Millionen Einsparung noch nicht einmal mit der Spartenschließung Schauspiel erzielen würde. Man müsste die Oper schließen", stellte Bramkamp fest. Das Schauspiel Bonn betrachtet Bramkamp als nicht wegzudiskutierenden Teil der Stadt. "Dafür kämpfen wir: mit unserer Kunst und unserem Engagement."

Generalintendant Bernhard Helmich hat zur Spielzeit 2013/14 die Nachfolge von Klaus Weise angetreten - mit der Auflage, 3,5 Millionen Euro einzusparen. Nach eigenen Angaben hat Helmich seit vorigem Jahr bereits 2,5 Millionen Euro im Theateretat gespart. Helmichs Vorgänger Weise hatte sich öffentlich geweigert, seinen Etat um besagte 3,5 Millionen Euro zu kürzen. Im Juli 2011 schrieb er an Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch: "Sehr geehrter Herr Nimptsch, die von der Stadt beabsichtigte Reduktion des Zuschusses an das Theater in Höhe von 3,5 Millionen Euro ab der Spielzeit 2013/14 erachte ich für desaströs. Ich werde sie nicht mittragen und stehe für eine Verlängerung meines Vertrages über die Saison 2012/13 nicht zur Verfügung."

l Was würde der Vorschlag der Verwaltung für das Theater bedeuten? In der laufenden Spielzeit überweist die Stadt 28,35 Millionen Euro ans Theater Bonn, außerdem trägt sie die Tarifkostensteigerungen der nächsten Jahre. Ein Herunterfahren des Zuschusses um acht Millionen Euro auf rund 20 Millionen Euro bis 2023 hätte die Zerschlagung der Grundstruktur des Hauses zur Folge. Eine Sparte, zum Beispiel die Oper, müsste aufgegeben werden. Dazu kämen nach Berechnungen eines Etat-Fachmanns aus dem Theater 100 bis 120 betriebsbedingte Kündigungen im Theaterbetrieb. Einsparpotenzial: rund sechs Millionen Euro. Sollte die Stadt auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten, müssten die Mitarbeiter an anderer Stelle eingesetzt werden.

l Woran orientiert sich der Vorschlag der Verwaltung? An vergleichbaren Städten wie Münster und Bielefeld, deren Theateretats bei jeweils rund 20 Millionen Euro liegen. Ein Vergleich illustriert aber auch gleich die strukturellen Unterschiede. Münster und Bielefeld haben im Unterschied zu Bonn weniger Spielstätten. In Bielefeld spielt ein kleineres Orchester und singt ein kleinerer Chor. Wollte man dies angleichen, müsste man aus dem A-Orchester in Bonn (106 Planstellen) ein B-Orchester wie in Bielefeld (67,5 Planstellen) machen.

l Kammerspiele in Gefahr: Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und seine Verwaltung plädieren dafür, die Kammerspiele in Bad Godesberg als städtische Spielstätte aufzugeben. Die Verwaltung schlägt dem Rat vor, Theaterstücke künftig wieder im Opernhaus zu spielen. Für die Kammerspiele in Godesberg müsse eine andere Nutzung gefunden werden. "Besonders für Bühnentechnik und Elektrik besteht dort innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre ein Sanierungsbedarf von mehreren Millionen Euro", sagte der Oberbürgermeister gegenüber unserer Zeitung. "Mit der Schließung als Theater können wir das Geld einsparen." Die Spielstätten in Beuel stünden dagegen nicht zur Disposition, weil sie als Proben- und Werkstatträume gebraucht würden. Im Juli 2011 hatte Jürgen Nimptsch erklärt: "Mit mir als Oberbürgermeister ist eine Schließung der Kammerspiele nicht verhandelbar."

l Klaus Weises Vision für die Kammerspiele: Vor seiner Protestnote 2011 an den Oberbürgermeister hatte der Generalintendant eine schriftlich fixierte Vision für das Theater Bonn ab 2013 gewagt. Ein Gedankenspiel galt dem Thema "Aufgabe der Kammerspiele & Verlagerung der Schauspielsparte in das Opernhaus und die Halle Beuel". Eine Schließung der Bad Godesberger Spielstätte, in der die großen Produktionen des Theaters zur Aufführung kommen, hätte laut Weise bedeutendes Einsparpotenzial. Die Einsparsumme unter Beibehaltung der bisherigen Anzahl von Produktionen in Oper und Schauspiel läge bei 1,5 bis 1,8 Millionen Euro. Unter einer Voraussetzung - "wenn auch festes Personal gekündigt wird". Ohne Personalkürzungen würde sich das Einsparpotenzial auf 0,6 Millionen Euro verringern. Das Weise-Papier listete konkret auf, was mit der Aufgabe der Spielstätte Kammerspiele einzusparen sei: "Sachkosten in Höhe von 619 432 Euro. Personalkosten in Höhe von 975.000 Euro. Davon: drei Mitarbeiter an den Abendkassen (150.000 Euro); 5,5 Mitarbeiter Abenddienst (275.000 Euro); acht Mitarbeiter Technik (400.000 Euro); drei Mitarbeiter Beleuchtung (150.000 Euro). Gesamt: 1,594 432 Millionen Euro."

l Was könnte aus den Kammerspielen werden? Das vom Kulturdezernenten Martin Schumacher erarbeitete "Kulturkonzept für die Stadt Bonn 2012-2022" sah eine Verlagerung des Schauspiels in die Oper vor. Die Kammerspiele sollten einer "alternativen Nutzung" zugeführt werden, zum Beispiel für freie Gruppen und Gastspiele. Die Kammer stünde dann nicht mehr unter der Regie der Stadt.

l Wie realistisch ist es, dass der Rat der Kürzung um acht Millionen Euro zustimmt? Eher unwahrscheinlich. CDU, Grüne und FDP, die einen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, halten den Einschnitt in der Praxis schlicht für nicht umsetzbar. Massiv kürzen wollen sie bei Oper und Schauspiel trotzdem: Bis 2020 sollen zusätzlich 1,5 Millionen Euro eingespart werden, danach bis 2024 weitere 1,5 Millionen Euro. Die Fraktionen sind sich offenbar einig, dass dieses Ziel nur erreichbar ist, wenn die Stadt die Kammerspiele aufgibt.

l Reaktionen auf die Diskussion über die Kammerspiele: Die langjährige Debatte um die Bad Godesberger Spielstätte ruft seit 2006 regelmäßig Bürger und Politik auf den Plan. Auf der Jahresversammlung der Freunde der Kammerspiele Ende Oktober wurden die Pläne für die Kammerspiele kritisiert: "Die Absicht der Stadtverwaltung, ein traditionsreiches Schauspielhaus dem Verfall preiszugeben, ist nicht hinnehmbar." Die Maßnahme "würde nicht nur Bad Godesberg besonders beeinträchtigen, sondern darüber hinaus dem Ansehen Bonns als Kulturstadt großen Schaden zufügen", urteilten die Kammerspiel-Freunde.

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