Finanzkrise in Bonn Rotstift-Liste löst erste Proteste aus

BONN · Die Sparvorschläge der Stadtverwaltung haben am Dienstag in Bonn für Wirbel gesorgt. So stößt nicht nur die Idee einer massiven Anhebung der Grundsteuer B auf deutliche Kritik.

Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, Kämmerer Ludger Sander und die Beigeordneten wollen die Steuer ab 2015 um 300 auf 830 Hebesatzpunkte hochschrauben, um 38 Millionen Euro zusätzlich einzunehmen. Wohnraumeigentümer und Mieter in Bonn würden damit deutlich stärker belastet als der NRW-Durchschnitt, wie Vergleichszahlen von Haus & Grund Rheinland belegen.

"Sparen geht vor Steuererhöhungen", kommentierte die gleichnamige Eigentümerschutzgemeinschaft für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis den Steuervorstoß. Hauptgeschäftsführer Helmut Hergarten: "Die Vorschläge machen einmal mehr deutlich, wie ernst es um die Finanzen steht.

Heute rächt sich, dass in den vergangenen fünf Jahren jede Spardiskussion durch Teile des Rates im Keim erstickt worden ist." Erhöhen will die Stadtverwaltung unter anderem auch die Hundesteuer von derzeit 150 auf 162 Euro für Einzeltiere. Die Steuersätze für zwei oder mehr Hunde sollen stabil bleiben, weil sie schon im Januar 2013 angehoben wurden.

Personal

Mehr als skeptisch ist die städtische Personalvertretung angesichts der 500 Mitarbeiter, die die Stadtspitze in den nächsten zehn Jahren einsparen will. Ab nächstem Jahr will sie so 6 Millionen, ab 2018 gar 8,5 Millionen Euro im Jahr sparen. "Da sehe ich noch viel Gesprächsbedarf", meinte Personalrat Rainer Friedrich. "Auf der einen Seite kommen auf die Stadt immer neue Aufgaben zu, wie etwa durch die Flüchtlinge oder den Ausbau der Kindergärten. Auf der anderen Seite sollen massiv Stellen wegfallen. Wie soll das funktionieren?"

Für den Personalrat steht fest: Stellenstreichung geht nur einher mit einer Aufgabenreduzierung. Auch dürfe es keine betriebsbedingten Kündigungen (von der Verwaltungsspitze so zugesagt) und keine Mehrbelastung für die Mitarbeiter geben. "Wir erwarten jetzt ein Konzept, wie die künftige Personalpolitik aussehen soll", forderte Friedrich.

Sport und Bäder

Von dort dürfte der Widerstand besonders heftig werden: "Wenn jetzt, gerade nachdem es in den letzten zwei Jahren mühsame, aber ehrenwerte Versuche gegeben hat, die desolate Sportförderung zu optimieren, erneut am Sport gespart wird - und wie anders sollen wir die erneute Drohgebärde einer Sportstättennutzungsgebühr und der Schließung gleich mehrerer Sportplätze und Bäder verstehen - , dann haben viele immer noch nicht verstanden, welche gewaltige Leistung der Sport durch ehrenamtliche Arbeit, Imagegewinn und tatsächliche Steuerleistungen der Stadt bringt", sagte der Vorsitzende des Stadtsportbundes Bonn, Michael Scharf.

Wenn der Sport im Vergleich zu seinem Haushaltsvolumen die gleichen prozentualen Einsparungen vornehmen müsste wie andere Bereiche, wäre das in Ordnung, meinte er. Doch er sehe nur, dass der Sport erneut über die Maßen herangezogen werden solle. "Das zeigt, dass es keine Wertschätzung für den Sport gibt."

Beim Förderverein "Unser Melbbad" ist man bereit zu kämpfen, damit das Poppelsdorfer Freibad geöffnet bleiben kann: Man versuche gleichzeitig, einen Privatinvestor zu finden, sagte Vorsitzender Jürgen Broich, der aber nicht in Panik verfällt. "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird", ist er überzeugt.

Und für eine Einsparung von gerade einmal 143.000 Euro eines der beliebtesten Freibäder Bonns zu schließen, sei eine Diskussion, die alle Jahre wieder aufs Tapet komme. Die Stadtspitze will außerdem das Ennert-, das Friesdorfer und das Kurfürstenbad schließen.

Offener Ganztag

Entsetzt reagierten zwei große Träger des Offenen Ganztags an Grundschulen (OGS) auf die Ankündigung, den Zuschuss pro Platz von 460 auf 350 Euro im Jahr zu senken. "Wir haben seit 2003 tarifliche Kostensteigerungen von 30 Prozent, die die Stadt konsequent ignoriert, auch wenn sie sie für eigene OGS-Mitarbeiter bezahlt", kritisierte Ulrich Hamacher, Geschäftsführer des Diakonisches Werks.

Längst habe der Rotstift der Stadt zu Einbußen bei der Qualität und zur Verringerung von Betreuungszeiten geführt. "Mit dem Sparvorschlag stiehlt sich die Stadt aus der Verantwortung", klagt auch Caritasdirektor Jean-Pierre Schneider: Sie betone Leistungsumfang und Qualität der OGS und hungere die nötigen Ressourcen aus.

Theater

"Ein kluger Mensch äußert sich zur richtigen Zeit, und die ist jetzt noch nicht gegeben", sagte gestern Bernhard Helmich lachend. Der Generalintendant des Theaters Bonn hat offenbar dazugelernt. Anfang 2014 hatte er Oberbürgermeister Nimptsch wegen dessen Sparvorschlägen im Kulturbereich heftig kritisiert.

Diesmal schweigt er lieber über den Vorschlag, bis 2023 acht Millionen Euro bei Oper und Schauspiel zu sparen und die Bad Godesberger Kammerspiele als städtische Spielstätte aufzugeben. "Ich habe eine Meinung, für die Sie nicht viel Fantasie brauchen", sagte Helmich. Empört, aber kampfbereit zeigte sich Angela Biller vom Vorstand der Freunde der Kammerspiele. "Indiskutabel", seien die Vorschläge. Die "sehr große Lobby" der Kammerspiele stehe für den Widerstand gegen die Schließung bereit.

Deutsches Museum

Dass die Streichung des Zuschusses für die Bonner Außenstelle des Deutschen Museums eine Ersparnis von 842.000 Euro im Jahr bringt (wegfallender Zuschuss und Miete), bezweifelt Museumschefin Andrea Niehaus. Auf jeden Fall wäre das das Ende des Museums an der Ahrstraße, das nach ihren Angaben mit jährlich 60.000 Besuchern zu den bestfrequentierten Häusern des Landes gehört.

Die Stadt trägt die Personalkosten von etwa 300.000 Euro und müsste nach einer Schließung die drei festen Mitarbeiter anderweitig beschäftigen. Der Zuschuss der Stadt mache etwa 70 Prozent des Jahresetats aus, berichtete Niehaus, die am Montag kurz vor Verkündung der Sparvorschläge vom Schließungsplan informiert worden war. "Das ist eine bittere Pille für uns. Besonders für den Wissenschaftsstandort ist das kein gutes Signal", sagte die Museumsleiterin.

Frauenmuseum

"Niederschmetternd", findet Marianne Pitzen, dass ihr Haus ab 2019 keinen Zuschuss der Stadt mehr bekommen soll. Vor zwei Jahren strich man dem Frauenmuseum schon 60.000 Euro, jetzt bekommt es 120.000 - "aber die tauchen ja bei uns gar nicht auf", so die Museumsdirektorin. Denn das Haus gehört der Stadt, und die Miete von 95.000 Euro fließt sozusagen gleich wieder in die eigene Tasche. "Und von den restlichen 25.000 Euro zahlen wir die Nebenkosten", sagte Pitzen. Besonders schlimm sei der Imageverlust, den ihr Haus erleide, wenn es immer wieder auf der Streichliste der Stadt Bonn stehe.

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