Zur Griechenland-Krise Nicht einmal mehr Geld für Milch gehabt

BONN · Die Rollläden sind heruntergelassen. Zwei Männer sitzen an einem Tisch des Griechischen Grills in Bonn und reden. Einer von ihnen ist Georgios Courtidis, der Inhaber des Imbisses. Der 25-Jährige hat griechische Wurzeln und eine klare Meinung zur Politik in Griechenland: "Die neue Regierung ist unsere große Hoffnung. Die alte hat alles nur schlimmer gemacht. Wir wünschen uns, dass diese ganze Vetternwirtschaft endlich aufhört."

 Pavlos Kourtidis (links) hat sein Vermögen in Griechenland verloren. Nun arbeitet er in Deutschland. Wie sein Neffe Georgios Courtidis setzt er große Hoffnungen auf die neue Regierung in Griechenland.

Pavlos Kourtidis (links) hat sein Vermögen in Griechenland verloren. Nun arbeitet er in Deutschland. Wie sein Neffe Georgios Courtidis setzt er große Hoffnungen auf die neue Regierung in Griechenland.

Foto: Horst Müller

Das Land benötige dringend Investitionen in Bildung, Tourismus und Medizin. Er kritisiert, dass Deutschland von der Aufrüstung Griechenlands mit Waffen jahrelang profitierte, während das griechische Volk leer ausging. Dabei brauche Griechenland gar keine Waffen. Wenn es wieder wachsen soll, sieht Courtidis einen Austritt aus der Währungszone als unabdingbar. Der Euro sei zu stark. Griechenland könne nur noch Waren importieren, aber nichts mehr produzieren.

Produzieren kann sein Onkel Pavlos Kourtidis inzwischen auch nichts mehr. Der 54-Jährige hat in Griechenland studiert und arbeitete dort als Bauunternehmer. Jahrelang führte er ein Geschäft im Norden des Landes. Mit zwölf Mitarbeitern generierte er einen Umsatz von 400.000 Euro im Monat. Bis 2009 musste er sich keine Sorgen um die Zukunft machen. Dann kam die Krise. Bis 2013 steckte er sein ganzes Vermögen in den Betrieb. Danach war kein Geld mehr da. "Irgendwann konnten wir keine Milch mehr kaufen", erinnert sich Kourtidis und schüttelt den Kopf. Richtig glauben kann er das heute noch nicht.

Er musste seine Frau und vier Kinder versorgen. Zwei von ihnen hatten keinen Job. Als er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, flog er zu Verwandten nach Bonn. Nach einigen Nebenjobs fand er eine Stelle als Fensterinstallateur. Von 1500 Euro netto schickt er jeden Monat 1000 zu seiner Familie nach Hause. Kourtidis sagt, er glaube an die europäischen Werte wie Freiheit, Gemeinschaft und Demokratie. Nur die Wirtschaft - die müsse sich schnellstens verändern. 26 Prozent der Griechen seien 2014 arbeitslos gewesen. Unter Jugendlichen habe die Rate sogar bei 50 Prozent gelegen. Die Lebensmittelpreise seien im Vergleich mit anderen EU-Ländern hoch.

Sorgen um Griechenland macht sich auch der Journalist Antonios Beys. Vor 52 Jahren kam er nach Deutschland, um zu studieren. Heute lebt er in Bonn. Wenn man ihn auf die Lage in seinem Heimatland anspricht, ist er aufgebracht. "Ich weigere mich, das Wort Sparen zu verwenden", betont Beys. "Wenn 40 Prozent der Bevölkerung keine Sozial- oder Krankenversicherung haben, dann ist das nicht Sparen, dann ist das sozialer Kannibalismus." Beys berichtet von griechischen Freunden, deren Löhne um bis zu 45 Prozent gekürzt wurden. Er kenne zwei Familien, die ihre Kinder in SOS-Kinderdörfer geben mussten, weil sie kein Geld mehr für das Essen hatten. Und Menschen, die betteln, im Krankenhaus zu bleiben, weil ihnen das Geld für den Strom fehlt.

Große Erwartungen setzt der Journalist in die neue Regierung - auch wenn er einen Austritt aus der Währungszone für unsinnig hält. "Das nützt nur den Spekulanten, die ihre Euros früh genug aus Griechenland heraus geschafft haben. Die können dann das halbe Land zum Spottpreis aufkaufen." Austreten aus der Eurozone - das kommt für Vasileios Gavalas ebenfalls nicht in Frage. Der 46-jährige Busfahrer zog 2013 mit seiner Familie nach Bonn. Davor führte er zehn Jahre lang ein Taxiunternehmen in Athen. Wenn man ihn auf das Klischee des faulen Griechen anspricht, muss er laut lachen. "Ein Märchen!", ruft er. "Viele von uns arbeiten bis zu dreizehn Stunden am Tag." Es bestehe ein großer Unterschied zu Deutschland: Während griechische Unternehmer mit ihren Angestellten umgehen könnten, wie sie wollen, sind Deutsche an Tarifverträge gebunden. Könnte das ein Modell für Griechenland in zehn Jahren sein?

"Die Löhne müssen steigen, die Steuern müssen runter", sagt Gavalas. "Die Rechnung, wie sie ist, geht einfach nicht auf." Darunter würden nicht nur die Griechen, sondern auch die Deutschen leiden. "Dabei haben die Menschen, die die Folgen der Krise tragen müssen, nichts mit ihrer Entstehung zu tun." Auch wenn es Griechenland in Zukunft wieder besser ginge, kann sich Gavalas nicht vorstellen, zurückzukehren - dafür sei das Risiko einfach zu groß.

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