Das Leben mit einer unheilbaren Krankheit "Ich will erwachsen werden"

Bonn · Träumen von einer Zukunft, die niemals kommt: Der vierjährige Felix möchte Pilot werden, aber die Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose (MPS) wird sein Leben beenden, bevor er die Chance dazu hat. Die Aktion der Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen (MPS) hat todkranken Kindern einen Tag lang ihre Träume erfüllt.

 Wenn Kinder unheilbar krank werden, leidet jedes Familienmitglied auf andere Weise. Der Deutsche Kinderhospizverein hilft - dem Kind, seinen Geschwistern und den Eltern.

Wenn Kinder unheilbar krank werden, leidet jedes Familienmitglied auf andere Weise. Der Deutsche Kinderhospizverein hilft - dem Kind, seinen Geschwistern und den Eltern.

Foto: dpa

Nächsten Mittwoch trifft sich Fee wieder mit Jens. Gut möglich, dass sie shoppen gehen. "Jens shoppt gerne", sagt Fee. "Und er weiß genau, was er will." Coole T-Shirts will er. Eine Ausbildung machen will er auch. Und irgendwann mit seinem besten Freund eine WG gründen. Vielleicht in Köln.

Vor kurzem wurde Jens von einer Bank angeschrieben. Man wollte mit dem 19-Jährigen über ein Rentenmodell sprechen. Jens' Mutter hat dann bei der Bank angerufen. Und gesagt, dass man sich über "so etwas wie Rente" mit Jens nicht unterhalten muss.

Die Lebenserwartung in Deutschland liegt momentan bei knapp über 80 Jahren. Jedes Jahr erhalten etwa 22 000 junge Menschen die Diagnose, dass sie niemals auch nur annähernd soviel Leben erwarten können - 22 000 Kinder und Jugendliche. Viele werden mit unheilbaren Krankheiten bereits geboren. Jens zum Beispiel. Er leidet unter Muskelschwund. Wie viel Zeit ihm noch bleibt, weiß er nicht. Aber alt wird er nicht. Und sein Leben ist ein Leben im Rollstuhl - immer schon.

Fee hilft ihm in diesem Leben, jeden Mittwoch, seit anderthalb Jahren. Sie sorgt dafür, dass er, wo immer er hin will, auch hin kommt, legt ihm die Rampe vom Bahnsteig in den Zug, reicht ihm im Laden die T-Shirts, die er betrachten will.

"Ich bin dafür da, zu tun, was ihm gut tut", sagt Fee. Und sie tut das ganz umsonst. Die 50-jährige Fee Hemmrich ist eine von 26 ehrenamtlichen Mitarbeitern im ambulanten Kinderhospizdienst Bonn.

Im März gibt es diese Einrichtung, deren Träger der Deutsche Kinderhospizverein ist, zwei Jahre. Im Moment kümmert sich der Dienst um 19 Bonner Familien. Wie er sich kümmert, das ist - nicht nur in finanzieller Hinsicht - besonders.

Hospiz: Bei diesem Wort denkt jeder gleich an Sterben, an Tod. "Dabei bedeutet das Wort Hospiz einfach nur Herberge", sagt Gabi Würth (53) vom Bonner Kinderhospizdienst.

Im Falle des Bonner Dienstes ist die Herberge sozusagen mobil: Es gibt kein Haus, die Bonner Mitarbeiter kommen zu den Familien. Dort helfen sie ab der Diagnose "unheilbar krank". Sie bleiben mitunter jahrelang an der Seite des Kindes oder Jugendlichen. Wenn das Kind stirbt, bleiben sie weiter, helfen in der Zeit der Trauer. Und sie helfen nicht nur dem Kind, sondern einfach dem, der Hilfe braucht: "Wir betreuen nicht, wir begleiten", sagt Dorothee Meurer (45), die Leiterin des Bonner Dienstes.

Übersetzt in den Alltag, wird aus dem vermeintlichen Minus - keine Rund-um-die-Uhr-Krankenpflege - für die Familien ein riesiges Plus: Fee und ihre Kollegen verbringen Zeit mit dem kranken Kind, damit die Mutter mal ausschlafen kann, sie übernehmen Behördengänge, damit die Eltern beim Kind bleiben können, sie beschäftigen sich mit den Geschwistern, damit die nicht zu kurz kommen in einer Familie, in der das kranke Kind ganz automatisch die meiste Aufmerksamkeit erfordert.

Sie sind da, um spazieren zu gehen und einzukaufen, und immer sind sie auch da, um zuzuhören. "Die Familien", sagt Meurer, "entscheiden selbst, wobei sie uns brauchen."

Ganz bewusst sind ambulante Kinderhospizdienste eher kleine Einheiten. "Wir wollen, dass die Arbeit persönlich bleibt. Ich kenne jeden ehrenamtlichen Mitarbeiter so gut, dass ich genau sagen kann, wer für welche Familie am besten geeignet ist", sagt Meurer.

Als Koordinatorin führt sie das erste Gespräch mit den Eltern, bringt Familie und Mitarbeiter zusammen. Jeder, der hier arbeitet, ist in einem 90-Stunden-Befähigungskurs geschult; und als Kurslehrer fungieren nicht nur Fachkräfte aus der Krankenpflege, sondern auch erfahrene Ehrenamtler und ebenso Familien mit unheilbar kranken Kindern.

"Lebensverkürzend erkrankt", so wird die Diagnose in den Informationstexten des Kinderhospizvereins umschrieben. "Lebensverkürzend", dahinter stehen Krankheiten wie Blutkrebs oder Muskelschwund. Krankheiten, bei denen die Heilungschancen gleich null sind. Und dann sind auch noch Kinder betroffen, die doch Synonyme für Zukunft sind.

Allein der Gedanke, als Eltern das eigene Kind zu überleben, wiegt unendlich schwer. Es ist ein Schicksal wider die Natur. Und es ist ein Schicksal, das die ganze Familie mitten im Leben trifft. Aber dieses Leben macht ja weiter, es muss weiter gehen, und das soll es auch: "Auch die Familien, in denen es ein lebensverkürzend erkranktes Kind gibt, haben ihren Alltag, haben Weihnachten und Geburtstage", sagt Gabi Würth.

Und auch die Kinder, die todkrank sind, wollen spielen, haben Träume. "Ich will erwachsen werden" heißt die Aktion der Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen (MPS), bei der Kindern einen Tag lang Träume erfüllt wurden: Der vierjährige Felix schnupperte in den Beruf des Piloten hinein, andere durften Tierärztin oder Feuerwehrmann spielen.

Keines der Kinder wird seinen Traum leben können. Mukopolysaccharidose ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung und die Krankheit ein Zeitraffer: Kinder, die gerade laufen lernten, verlernen es wieder, entwickeln sich wieder zurück.

Der Fotograf Stefan Stark aus Aschaffenburg hat die Kinder während der Aktion abgelichtet. Seit dieser Aktion begleitet er Veranstaltungen der MPS-Gesellschaft. "Diese Arbeit erdet mich", sagt er. "Wenn ich mit den Kindern zusammentreffe, dann weiß ich wieder, was wichtig ist im Leben."

Eine Aussage, die auch von den Mitarbeitern des Kinderhospizdienstes in Bonn stammen könnte. "Für das, was man gibt, bekommt man so viel zurück", sagt Fee Hemmrich. Dankbarkeit vor allem: "Der Hospizdienst", sagt eine Bonner Mutter, deren Sohn unheilbar krank ist und die seit zwei Jahren Unterstützung erfährt, "ist für mich sehr wertvoll. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen würde."

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