Interview mit Kriminalhauptkommissar Ulli Hansmann Für alle Fälle: Notruf 110

BONN · Kriminalhauptkommissar Ulli Hansmann geht es gegen den Strich, wenn Menschen aus Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit oder gar Desinteresse zulassen, dass Straftäter ungehindert agieren. In manchen Fällen kann der untätige Augenzeuge sogar wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden.

 Kriminalhauptkommissar Ulli Hansmann

Kriminalhauptkommissar Ulli Hansmann

Foto: Specht

Andererseits hat der Präventionsexperte die Erfahrung gemacht, dass viele helfen wollen, wenn sie Augenzeuge von Belästigung, Bedrohung oder gar eines Raubes werden. Dennoch bleibt Hilfe oft aus, weil das Wissen fehlt, ob und wie geholfen werden kann.

Aus Polizeiberichten geht hervor, dass es auch in der Bahn öfter zur Eskalation kommt. Wie verhalte ich mich als Augenzeuge?
Ulli Hansmann: Schon wenn Sie in die Bahn einsteigen, sollten Sie scannen, wer Ihnen sympathisch ist. Am besten, Sie setzen sich zu anderen, um eine Art Gemeinschaft zu bilden. Also: Warum muss ich mich zu jemanden setzen, der offensichtlich alkoholisiert ist? Die Kamera in Bus oder Bahn liefert gerichtsverwertbare Beweismittel und hilft somit auch bei der Aufklärung.

Es gibt Situationen, in denen die Täter offensichtlich stärker und gewaltbereit sind - und dann?
Hansmann: Manchmal hilft schon ein lautes Wort oder eine kleine Geste, um den Täter einzuschüchtern. Wichtig ist auf jeden Fall eine umsichtige Reaktion. Niemand erwartet, dass Sie Ihre Gesundheit aufs Spiel setzen und den Helden spielen. Suchen Sie Mitstreiter und verständigen Sie umgehend die Polizei. Achten Sie auf räumliche Distanz zum Täter und sprechen Sie das Opfer an: "Kommen Sie her zu uns, wir helfen Ihnen!" Duzen Sie den Täter nicht, denn sonst könnten Passanten einen rein persönlichen Konflikt vermuten. Vermeiden Sie es auch, den Täter zu provozieren oder sich provozieren zu lassen.

Oft genug geschieht es am helllichten Tag und unter aller Augen in der Fußgängerzone: Ein Mensch wird bestohlen, beraubt, bedroht oder gar zusammengeschlagen. Wie kann ich intervenieren?
Hansmann: Warten Sie nicht darauf, dass schon irgendjemand irgendetwas unternehmen wird. Einer direkten Ansprache können sich andere Augenzeugen nicht entziehen, zum Beispiel: "Sie, der Herr im Polohemd, helfen Sie mir" oder "Sie, die Dame mit dem Hut, holen Sie die Polizei".

Was ist, wenn es bei einer Auseinandersetzung Verletzte gibt?
Hansmann: Erste Hilfe ist die beste Hilfe. Kümmern Sie sich unverzüglich um verletzte Personen. Schritt eins ist die stabile Seitenlage. Wenn Sie nicht mehr wissen, wie das geht, rate ich zu einem Erste-Hilfe-Kurs: Und: Maßgeblich ist nicht, ob Ihre Kleidung Schaden nehmen könnte. Im Notfall darf nur das Opfer wichtig sein. Alarmieren Sie den Rettungsdienst.

Was tue ich, wenn ich in der Nachbarschaft Situationen häuslicher Gewalt beobachte?
Hansmann: Was früher als Streitigkeiten oder Ruhestörungen heruntergespielt wurde, ist eine Gewalttat, die laut Kriminalstatistik überwiegend von Männern an Frauen begangen wird. Zumindest indirekt sind auch Kinder von dieser Gewalt betroffen. Kinder, die in ihrer Familie Gewalt als Konfliktlösungsmuster kennenlernen, Gewalt selbst erfahren oder beobachten, neigen dann oft dazu, später selbst gewalttätig oder Opfer von Partnergewalt zu werden. Schon deshalb muss die häusliche Gewalt verhindert werden. Melden Sie Ihre Beobachtungen, auch unter dem Notruf 110, wir gehen sensibel mit Ihrem Hinweis um.

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