Bonner Remigiusplatz Erst das Gotteshaus, dann die Skulptur

BONN · Seit einigen Wochen ragt die sechs Meter hohe Skulptur "Mean Average" von Tony Gragg auf dem Bonner Remigiusplatz gen Himmel. Ein Anblick, den Adelheid Schmitz-Brodam an ein längst verschwundenes Bauwerk erinnert. Und über das auch gar nicht so viel bekannt ist: die alte Remigiuskirche, die 1806 abgerissen wurde.

 Adelheid Schmitz-Brodam verweist auf den alten Merian-Plan von 1646.

Adelheid Schmitz-Brodam verweist auf den alten Merian-Plan von 1646.

Foto: Max Malsch

"Etwa wo jetzt die Skulptur steht, befand sich wohl früher der Kirchturm", sagt die 81-Jährige. Die Bonnerin hat 25 Jahre lang Gäste und Besucher durch die Stadt geführt und sogar 35 Jahre lang über den Alten Friedhof - manchmal heute noch.

Auf dem alten Merianplan von 1646 befindet sich das Hauptportal des Gotteshauses mit dem Turm direkt darüber gegenüber der Acherstraße. Es war ein "einfacher Bau ohne architektonische Zierde", schreibt Pfarrer German Hubert Christian Maaßen 1894 in seinem Buch "Pfarreien des Dekanates Bonn - 1. Theil: Stadt Bonn".

Der Turm "hatte unten die Gestalt eines Hauses mit schrägen Seitenabhängen, dem ein höheres Stockwerk in gewöhnlicher vertikaler Form aufgesetzt war. An den vier Seiten ragten dreieckige Giebelspitzen empor. Der oberste Raum war als Aufenthalt für die städtische Wache bestimmt." Es handelte sich also um einen dreischiffigen Bau in Kreuzform.

Doch mit der genauen Ausrichtung der Kirche sollte man es - trotz eines Bildes bei Merian - nicht so genau nehmen. So steht Remigius auf dem neuen Bronzemodell auf dem Münsterplatz ein wenig quer, was sich Adelheid Schmitz-Brodam so nicht unbedingt vorstellen kann. Sie spekuliert, dass der Turm mit Altar durchaus auch Richtung Osten, zum Rhein hin, ausgerichtet war. Zu sehen ist der Bau auch noch auf dem Stadtplan von Hermann Sandfort (Ende 18. Jahrhundert), der im Bonner Stadtarchiv eingelagert ist.

"Sankt Remigius war die Hauptpfarrkirche für den Marktflecken Bonn", sagt Adelheid Schmitz-Brodam, die 1971 über den Förderkreis Jugend im Museum ihre Interesse für Heimatkunde entdeckt hatte und in der Zeit mit Führungen - auch für das Katholische Bildungswerk - begann. Das Münster war Kanonikerkirche, die Martinskirche stand mehr den Bediensteten des kurfürstlichen Hofes zur Verfügung, und die Gangolfkirche war für den Stadtteil Mülheim zuständig - an den Bottlerplatz schließt sich heute der Mülheimer Platz an, der an das Viertel erinnert.

"Die Remigiuskirche war sehr alt", sagt Adelheid Schmitz-Brodam, die seit Jahren schon keine Romane mehr liest, sondern nur noch Heimatkundliches über Bonn. Das schließe man aus dem Patrozinium: 553 starb der heilige Bischof Remigius, daraufhin wurden ihm zahlreiche Kirchen geweiht - so auch die am Remigiusplatz. "Für das hohe Alter der Remigiuskirche in Bonn spricht ihre bevorzugte Stellung als Hauptkirche und ihr ausgedehnter städtischer Pfarrbezirk", schreibt auch Pfarrer Maaßen. Sie muss entsprechend viel Platz für die Gläubigen gehabt haben.

Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 795. Im Jahr 1304 wurde die Remigiuskirche erstmals als Besitz des Cassius-Stiftes bezeichnet. Der Remigiusplatz war übrigens Hauptfriedhof der Stadt, der zweite Friedhof an der Martinskirche den Hofbediensteten vorbehalten.

Ab 1787 gab es allerdings aus hygienischen Gründen keine Bestattungen mehr nahe dem Alten Rathaus. Das lag daran, dass die Liegezeiten nur vier Jahre betrugen, sagt Adelheid Schmitz-Brodam. Beim Bombardement von 1689 wurden Turm und Dach der Remigiuskirche zerstört und wieder aufgebaut. Am 10. Mai 1800 schlug der Blitz in den Turm ein, der dann abbrannte. Als Folge der Säkularisation verschwanden die Gangolfkirche 1804 und die Martinskirche 1812.

Wegen des Gewitterschadens wurde die Remigiuskirche unbrauchbar, die Gottesdienste wurden ab 1806 dauerhaft in der früheren Minoritenkirche (Brüdergasse) gehalten, die heute als Remigiuskirche bekannt ist. Die alte Remigiuskirche wurde letztlich abgerissen, die Steine wurden für den Festungsbau in Wesel verwandt.

Adelheid Schmitz-Brodam wirft noch einmal einen Blick auf die Cragg-Skulptur, die ihr recht gut gefällt. "Ja, sie hat einen würdigen Platz", sagt sie.

Alt-Remigius und die Beethovens

In der früheren Remigiuskirche haben die Eltern von Ludwig van Beethoven geheiratet. Der berühmte Komponist selbst wurde dort am 17. Dezember 1770 getauft. Der Taufeintrag ist heute im Beethovenhaus in der Bonngasse als Faksimile zu sehen. Der Taufstein der 1806 abgerissenen Kirche befindet sich heute in der heutigen Remigiuskirche aus dem 14. Jahrhundert. Überhaupt wurden beim Abbruch zahlreiche Gegenstände dorthin übertragen.

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