Volkshochschule in Bonn Eine 110-jährige Erfolgsgeschichte gelebter Demokratie

BONN · Am Anfang standen ein Wortungetüm und eine hitzige Debatte: Im Jahr 1904 schwappte die sogenannte Universitätsausdehnungsbewegung von England über Österreich nach Deutschland und brachte die Idee der Volkshochschule (VHS) nach Bonn.

 Leitet die Volkshochschule Bonn seit zehn Jahren: Ingrid Schöll.

Leitet die Volkshochschule Bonn seit zehn Jahren: Ingrid Schöll.

Foto: Barbara Frommann

"Volkstümliche Kurse von Hochschullehrern" - so verstand man deren Idee damals. "Es gab lange Debatten über den Nutzen von Volksbildung, wobei Volksbildung auch als “Mittel der Sozialpolitik„ angesehen wurde", erklärt Ingrid Schöll, die heutige Leiterin der Volkshochschule Bonn. Zunächst wurde ein Ausschuss für die Veranstaltung von Volkshochschulkursen gebildet. Ihm gehörten 34 Mitglieder an - vorwiegend Akademiker. Und am 18. Juli 1904 war es soweit: Im Drei-Kaiser-Saal an der Kölnstraße wurde die Bonner Volkshochschule offiziell gegründet.

Die Geschichte der Volkshochschulen ist eine Erfolgsgeschichte gelebter Demokratie. Denn ihren Auftrag sahen sie im Recht auf Bildung und lebenslanges Lernen für jeden Bürger. Die Weimarer Republik schaffte die Rahmenbedingungen, denn die junge Demokratie brauchte die mitdenkenden Bürger. "So sollte sich besonders die Arbeiterschaft weiterbilden können", sagt Schöll.

Die ersten Kurse der VHS in Bonn wurden in der Universität und in der Aula des Städtischen Gymnasiums in der Brückenstraße, heute Berliner Freiheit, angeboten. Die Kurse kosteten für Arbeiter, Unterbeamte und "Personen in ähnlicher Stellung" zehn Pfennig pro Stunde, für alle anderen 30 Pfennig. "Auch heute noch gibt es in den Volkshochschulen ein Rabattsystem", so Schöll. Fast 85 Prozent der Dozenten waren Universitätsangehörige.

"Großes Interesse bei der Hörerschaft fanden vor allem Vorlesungen in Literatur, Kunstgeschichte/Archäologie, Philosophie und Geschichte, die in steigendem Maße angeboten wurden, sowie einzelne Kurse aus dem rechts- und staatswissenschaftlichen Bereich", heißt es in einer Dissertation über die VHS. Naturwissenschaftliche und technische Angebote wurden nicht so stark nachgefragt. In einem Drittel der Kurse wurden, so die Schrift, "Lichtbilder als didaktisches Mittel zur Veranschaulichung" eingesetzt. "Heute ist das Powerpoint", erklärt die VHS-Leiterin.

In den ersten Jahren nach der Gründung besuchten rund 1400 Teilnehmer die Kurse. 1913/1914 registrierte die VHS 2046 Hörer, heute sind es rund 30 000. Die stärkste Gruppe bilden nicht mehr die Fabrikarbeiter und Handwerker, sondern Freiberufler, Rentner und Frauen. "Seit 1906 stieg der Anteil der Frauen kontinuierlich. Die VHS ist ein emanzipatorisches Element für Frauen. Sie können sich selbst verwirklichen und ihre berufliche Bildung intensivieren", so Schöll.

Die politisch-kulturellen Umbrüche der 70er und 80er Jahre hatten auch Einfluss auf die Volkshochschulen. Neue Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau, Umwelt oder Migration wurden aufgegriffen.

Und hundert Jahre nach der Gründung gab es auch organisatorisch neue Herausforderungen. "Am 1. April vor zehn Jahren habe ich hier angefangen. Und wurde von meinem Dezernenten mit den Worten begrüßt “Wir werden übrigens dieses Jahr hundert„", erinnert sich Schöll, die zuvor die VHS in Saarbrücken und davor die in Witten-Wetter-Herdecke geleitet hatte. "In anderen Städten war dieser Geburtstag ein Riesenereignis - nicht so in Bonn.

Der Bonn-Berlin-Beschluss wirkte noch nach. Wir hatten nur eine kleine aber feine Feier im Gobelin-Saal", sagt die VHS-Leiterin. "Ich wusste, in Bonn gibt es einiges zu tun. Mein Ziel war ein neues Haus", sagt Schöll. Denn in die Räumlichkeiten an der Wilhelmstraße war die VHS 1949 eingezogen - und entsprechend waren sie nicht mehr zeitgemäß. 66 Jahre später wird die VHS - nach aktuellem Stand zum Februar 2015 - in das neue Haus der Bildung am Bottlerplatz einziehen.

Begriffe wie Emanzipation, Partizipation, Integration und Inklusion sind heute Leitwerte der VHS. "Bonn hat unheimlichen Reichtum an spannenden Einrichtungen, die Vereinten Nationen, die Deutsche Welle, die Dax-Unternehmen. Wir haben die Institutionen für die Bonner geöffnet und den Strukturwandel erlebbar gemacht", so Schöll.

Die VHS begleite zudem die kritischen Themen in der Stadt mit Veranstaltungen und leiste in der Gesundheitsbildung wichtige Arbeit. Zudem sei Bonn eine internationale Stadt, von den 178 Nationen die hier leben, sind 140 in der VHS vertreten. "Die Themen Integration und demografischer Wandel werden uns stark beschäftigen. Wir befinden uns in einer historischen Situation ohne Präzedenzfall. Und die VHS ist ein wichtiger Schlüssel", sagt Ingrid Schöll. Die VHS-Leiterin ist überzeugt: "Die Volkshochschule ist der Spiegel, der die Stärken der Stadt im Programm abbilden muss."

Der Anfang

Ihre erste Gründungsphase erlebten die Volkshochschulen zu Beginn der Weimarer Republik. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Volkshochschulen aufgelöst oder unter anderem Namen im Erziehungssystem gleichgeschaltet. Nach dem Krieg waren sie eine wichtige Säule beim Aufbau der Demokratie.

Sie wurden neu gegründet und in der Reeducation eingesetzt. 1949 begann der Betrieb auch in Bonn wieder. 1969 wurden die bis dahin vier Volkshochschulen - Bonn, Beuel, Bad Godesberg und das Amt Duisdorf - im Zuge der kommunalen Neugliederung zusammengelegt.

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