Die Zahl der Gotteskrieger wächst 36 Bonner Dschihadisten sind bislang nach Syrien gezogen

BONN · Horrormeldungen von abgeschlagenen Köpfen, Massenerschießungen und Zwangsbekehrungen - all das scheint den Bann nicht brechen zu können, in den syrischen Bürgerkrieg zu ziehen und die dortigen muslimischen Extremisten zu unterstützen. Auch aus dem Bonner Raum zieht es immer mehr militante Islamisten nach Syrien.

Möglicherweise sind es aber auch genau diese Meldungen, die den Reiz auf militante Islamisten ausüben. Zahlen, die der GA aus Kreisen der Sicherheitsbehörden erfuhr, deuten jedenfalls darauf hin, dass die Ausreisewelle nicht abebbt. Im Gegenteil. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs sind allein aus dem Bonner Raum 28 Männer und acht Frauen in den "heiligen Krieg" aufgebrochen.

Noch Ende des vorigen Jahrzehnts stand das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet als Hauptreiseziel für Dschihadisten hoch im Kurs. Die bekanntesten Bonner waren die Brüder Yassin und Mounir Chouka sowie Bekkay Harrach, der 2010 bei Gefechten starb. Alle drei erlangten zweifelhaften Ruhm, weil sie regelmäßig Drohbotschaften via Internet schickten. Beliebtes Ziel war zudem Somalia, wo sich offenbar auch eine Reihe Bonner Gotteskrieger der dortigen Terrormiliz Al-Shabaab anschloss. Fünf jetzt festgenommene mutmaßliche Shabaab-Mitglieder scheinen einen Bonn-Bezug zu haben, wie SWR und WDR gestern berichteten.

Die meisten Syrien-Dschihadisten seien jung, heißt es aus Polizeikreisen, manche gerade erst volljährig. 80 Prozent von ihnen haben den deutschen Pass, viele aber sind Einwandererkinder. In der Regel seien sie unterdurchschnittlich gebildet. "Die Entscheidung zur Ausreise geschieht nicht über Nacht, viele sind schon als Jugendliche mit radikalen Ideen infiziert worden", so ein Behördeninsider.

Maßgeblichen Einfluss auf junge Leute hat demnach das radikale Netzwerk "Die wahre Religion", das mit seiner Koranverteilaktion "Lies" jungen Männern die Gelegenheit bietet, aktiv zu werden. Nach wie vor im Fokus der Ermittler steht die Moschee am Schwarzen Weg in Beuel, deren Trägerverein "GA-Anfragen nicht mehr beantworten will", wie ein Sprecher vor geraumer Zeit deutlich machte.

Zu den 36 Ausgereisten aus dem Bonner Raum kommen zehn Ausreisewillige hinzu, denen die Behörden Reisepässe abgenommen beziehungsweise nicht ausgestellt und somit "möglicherweise eine Ausreise verwehrt haben", sagte Bonns Polizeisprecher Robert Scholten, der sich ansonsten nicht konkret zu den Bonner Zahlen äußern wollte. Nur soviel bestätigte er: Es gebe einen Fall, in dem ein Mann gegen die Stadt Bonn klagt, die ihm nach Kenntnis der Ausreiseabsichten den Reisepass verweigert hatte.

"Doch selbst das heißt nicht, dass Ausreisewillige es nicht doch ins Ausland schaffen", so Scholten, der bestätigte, dass die Behörden deutschlandweit von mittlerweile 400 Ausgereisten ausgehen, davon 130 aus Nordrhein-Westfalen. Prozentual kommt damit fast ein Drittel aller deutschen Dschihadisten aus dem Bonner Raum. Scholten betonte zugleich, dass man keineswegs bei jeder Ausreise davon ausgehen könne, dass die Personen tatsächlich bis nach Syrien oder gar in den Irak gelangten. "Und wenn, dann heißt das nicht, dass sie sich dort automatisch extremistischen Milizen anschließen", so Scholten.

Ohnehin herrscht in der militanten Salafistenszene derzeit Verwirrung darüber, wem man sich im Nahen Osten anschließen soll, berichtet dem GA ein Islamismusexperte, der namentlich nicht genannt werden will. Infrage komme zum einen die syrische Al-Kaida-Miliz Nusra-Front, die eher gebildete Kämpfer anziehe, zum anderen die Terrormiliz IS.

Es gebe zwei Arten von Jugendlichen, die trotz der Internetansprachen radikaler Prediger ausreisen, so der Experte: "Erstens die, die die Warnungen vor IS ignorieren und für Feindpropaganda halten, jemanden bei IS kennen oder IS einfach toll finden, ohne wirklich etwas über die Terrormiliz zu wissen, außer dass sie offenbar ein Kalifat errichten, woran man sich beteiligen möchte. Zweitens die Jugendlichen, die wissen, was in Syrien und Irak passiert und von IS begeistert sind, weil die Terrormiliz unnachgiebig Stärke und Überlegenheit zeigt - wenn auch auf grausamste Weise."

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