Kirchenaustritte Austrittswelle in den Bonner Kirchen rollt ungebremst

BONN · Die massive Austrittswelle aus den beiden großen Kirchen hat im ersten Halbjahr 2014 in Bonn weiter zugenommen. Im ersten Halbjahr kehrten mehr als 1300 Bonner den beiden großen Kirchen den Rücken.

 Ist gläubige Christin und doch aus der Kirche ausgetreten: Maria Neubert (Name geändert) fühlt sich "nicht eingeladen, sondern ausgeladen".

Ist gläubige Christin und doch aus der Kirche ausgetreten: Maria Neubert (Name geändert) fühlt sich "nicht eingeladen, sondern ausgeladen".

Foto: Hagenberg-Miliu

Wie berichtet, hatte Stadtdechant Wilfried Schumacher für das vergangene Jahr gegenüber 2012 eine eklatante Zunahme von 42 Prozent an Austritten aus der Katholischen Kirche beklagen müssen. Nun legt Birgit Niepmann, Direktorin des Amtsgerichts, Zahlen über aktuell weitere Verluste vor. Die Römisch-Katholische Kirche hätten demnach in der ersten Hälfte dieses Jahres sogar 830 Bonner verlassen, im gleichen Zeitraum 2013 waren es 682 Menschen. Aber auch aus der Evangelischen Kirche verabschiedeten sich 2014 noch mehr Bonner: Im ersten Halbjahr 2013 waren es noch 348 Bonner, von Januar bis Juli dieses Jahres stieg die Zahl auf 493. "Angaben zu den Gründen kann ich nicht machen, da diese nicht abgefragt werden", erklärte Niepmann.

Die Gründe liegen etwa bei Maria Neubert (Name geändert) tief. "Die meisten Jahre meines Lebens habe ich als Ehefrau eines geschiedenen Mannes unter dem moralischen Druck meiner Katholischen Kirche gelitten", berichtet die Frau, während sie in ihrem Wohnzimmer über das Bild der Gottesmutter Maria streicht. Die Kirche habe darüber bestimmt, dass sie als gläubige Christin und Mutter von katholisch getauften Kindern von den Sakramenten ausgeschlossen bleibt. "Das entspricht doch nicht der Botschaft Jesu." Sie sei von der Kirche nicht eingeladen, sondern ausgeladen worden. Sie habe immer wieder das Gespräch gesucht, Briefe geschickt. Das Fass zum Überlaufen gebracht habe nun der örtliche Pfarrer, bei dem sie diesen Machtmissbrauch weiter zu spüren bekommen habe. "Ich bin ausgetreten - und bleibe trotzdem ein tiefgläubiger Mensch."

Wenn Menschen derzeit vermehrt austräten, dann sei zu ihrer meist jahrelangen Kritik ein aktueller Auslöser hinzugekommen, vermutet der evangelische Pressepfarrer Joachim Gerhardt. "Wir haben also über Jahre versäumt, ihnen Argumente zu liefern, warum es gut ist, in der Kirche zu sein." So hohe Verlustzahlen wie 2014 habe es in der Evangelischen Kirche Bonns seit zehn Jahren nicht gegeben. Er bedauere jeden der Austritte, betont Superintendent Eckart Wüster. "Sie dürften in Zusammenhang mit der Diskussion um den Limburger Bischofssitz und jetzt um die Abgeltungssteuer stehen." Kirche und Finanzen, das sei halt ein hochsensibles Thema. "Die Steuerfrage haben wir ganz schlecht kommuniziert." Gerhardt kann aber auch positive Zahlen beitragen: Man verzeichne vergleichbar hohe 300 Wiedereintritte in die Evangelische Kirche Bonns pro Jahr. "Und etwa in der Luthergemeinde doppelt so viele Taufen wie Beerdigungen."

Als Austrittsauslöser sieht auch Stadtdechant Wilfried Schumacher die Veränderung des Verfahrens bei der Abgeltungssteuer. "Wir müssen gewiss die Transparenz des kirchlichen Vermögens und der Ein- und Ausgaben verbessern. Hier sind erste Ansätze gemacht. Weitere werden gewiss folgen." Viele Menschen machten sich einfach nicht klar, dass mit den Geldern auch ihre Kindertagesstätten, Schulen und Krankenhäuser finanziert und Kirchen, Jugendheime und Pfarrzentren unterhalten würden.

Seelsorge und Begleitung gehörten zu den Kernkompetenzen der Kirche. Weil immer weniger Priester vorhanden seien, suche und fördere man derzeit Modelle, die die Nähe zu den Menschen vor allem in Krisensituationen und an Lebenswenden gewährleisteten. "Ein gutes Beispiel ist die Pfarrei Sankt Petrus, wo die Gemeindemitglieder mehr Verantwortung übernehmen. Diese neuen Wege werden auch vom Erzbistum sehr unterstützt", so Schumacher.

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