Spielhallen in Bonn Wenn das Spiel zur Sucht wird - Fachambulanz bietet Hilfe an

BONN · Modisch geschnittene Jeans, kariertes Hemd, die Kurzhaarfrisur gegelt: Patrick ist ein moderner Mann von Ende 20. Auf den ersten Blick könnte er im Einzelhandel arbeiten oder ein nettes Café führen. "Nee, zur Zeit hab´ ich keinen Job", erzählt er. "Deshalb bin ich tagsüber hier."

Hier - das ist eine dieser schummrigen Spielhallen in Bahnhofsnähe wie man sie in jeder Großstadt findet. Blickkontakt kann er während unseres Gesprächs nicht halten, er muss seinen Automaten immer im Auge haben. "Ob ich das Spielen unter Kontrolle habe?", lacht er. "Ich kann jederzeit aufhören." Tut er aber nicht.

Uta Geier-Vollmecke und Bernd Uellendahl kennen solche Antworten. "Es dauert lange, bis sich jemand eingesteht, spielsüchtig zu sein", beobachten die beiden Suchttherapeuten. Mit "Game over" bieten sie in der Fachambulanz Sucht von Caritas und Diakonie im Poppelsdorfer Willi-Graf-Haus Spielsüchtigen Hilfe an.

Wie notwendig ihre Arbeit in den letzten Jahren geworden ist, zeigt ein Blick in die Statistik. "Während wir 2007 noch 25 Patienten aus Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis betreut haben, waren es 2012 schon 150", so Bernd Uellendahl. "Und die, die Hilfe suchen, werden immer jünger." Rund 80 Prozent sind Männer, der Jüngste ist gerade einmal 21 Jahre alt. "Wir betreuen den Spitzenmanager eines internationalen Unternehmens aus Bonn ebenso wie den Hartz-IV-Empfänger oder den Gefangenen im offenen Vollzug, der durch seine Spielsucht kriminell geworden ist", ergänzt er.

Längst hat auch die Politik erkannt, dass Spielsucht ein gesellschaftliches Problem ist, das bekämpft werden muss. "Nein", widerspricht Ulrich Erken, in Bonn Sachgebietsleiter Gewerbeangelegenheiten und Sondernutzungen bei den Bürgerdiensten. "Auch wenn man glaubt, dass immer mehr Spielhallen aufgemacht würden, es gibt in diesem Bereich keine größeren Veränderungen als in anderen Gewerben."

Derzeit gibt es im Stadtgebiet 53 Spielhallen an 36 Standorten. Oft würden die Betreiber für eine Immobilie mehrere Konzessionen für verschiedene Etagen beantragen, damit sie mehr Automaten aufstellen können. Denn wie viele Geldspielgeräte in einer Halle (Gewerbeeinheit) stehen, ist genau geregelt. Zwei, manchmal drei Mitarbeiter des Ordnungsamtes sind für die Überwachung aller Auflagen zuständig. Dazu gehört, dass Mindestabstände zwischen den Geräten eingehalten werden und Sichtblenden installiert sind. "Damit soll verhindert werden, dass ein Spieler gleich an mehreren Automaten spielt", so Erken - und in kürzester Zeit sehr viel Geld verliert. Allerdings werden bei den routinemäßigen Überprüfungen auch schon mal manipulierte Geräte entdeckt, an denen man in nur einer Stunde bis zu 3000 Euro verlieren kann.

Spätestens Ende 2017 wird sich das Angebot in der Stadt enorm verändern. Denn nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren werden dann alle Vorgaben des neuen Glücksspielstaatsvertrages (siehe Kasten) umgesetzt: Bestehende Mehrfachkonzessionen verlieren ihre Gültigkeit, in einem Radius von 350 Metern (Luftlinie) darf nur noch eine Spielhalle angesiedelt sein. "Gibt es zu viele, wird eine geschlossen", so Erken. Allerdings befürchtet man im Stadthaus, dass die Betreiber solche Entscheidungen nicht kampflos akzeptieren und die Gerichte bemühen werden. Schon jetzt müssen die Spielhallen einen Abstand von mindestens 350 Metern zu Kinder- und Jugendeinrichtungen haben.

Auch wenn sich die Neuansiedlung von Spielhallen nicht verhindern lässt, hat die Stadt die Hürden für die Genehmigung bereits jetzt höher gelegt. In Wohngebieten und in den Kerngebieten der Stadtteile gibt es nach dem Bauplanungsrecht keine Genehmigungen mehr, neue Ansiedlungen werden in die Randbereiche gedrängt.

Will ein Unternehmer eine Halle eröffnen, muss er Genehmigungen nach dem Gewerbe- und nach dem Bauplanungsrecht einholen. So soll der etablierte Einzelhandel geschützt, eine Veränderung des Umfelds verhindert und eine Belästigung von Wohnbereichen vermieden werden. Verboten ist zudem eine aggressive Werbung in den Schaufenstern, um Jugendliche zu schützen.

Wie schnell aus dem Vergnügen eine Sucht werden kann, das erleben die Therapeuten im Willi-Graf-Haus täglich. "Spielen wirkt wie jede andere Droge auch", erklärt Uellendahl. Und die Sucht verändert das Leben der Betroffenen komplett: Der Spieler verstrickt sich immer mehr in Lügen, verschuldet sich oft maßlos und verliert sein bürgerliches Leben. Mindestens 100 000 Euro hat jeder Süchtige in Automaten gesteckt. "Nach oben gibt es keine Grenzen", so der Therapeut. Er kennt Fälle, in denen Betroffene mehrere Häuser verspielt haben. Wer sich entschlossen hat, seine Sucht zu bekämpfen, bekommt in Poppelsdorf jede Hilfe, die er braucht: Ambulante oder stationäre Therapie, Gruppen- und Einzelgespräche und Rehabilitationsmaßnahmen. Doch es ist ein harter und langer Weg, bis ein Spieler "clean" ist.

"Schluss für heute", ruft Patrick und zieht seine Lederjacke an. "Ich gehe jetzt. Siehst du, ich kann aufhören, wenn ich will", sagt er und grinst.

Der Glücksspielstaatsvertrag

Der aktuelle Glücksspielstaatsvertrag ist seit Dezember 2012 auch in NRW gültig. Ende 2011 hatten sich die Regierungschefs der Länder auf einen modernisierten rechtlichen Rahmen für das Glücksspiel in Deutschland geeinigt. "Der überarbeitete Staatsvertrag stellt einen vernünftigen Kompromiss dar, mit dem einerseits ein ausreichendes Glücksspielangebot zur Verfügung gestellt und gleichzeitig dem effektiven Kampf gegen die Glücksspielsucht mehr Bedeutung zugemessen wird", erklärte NRW-Innenminister Ralf Jäger zur Einführung.

Dabei geht NRW vor allem mit strengeren rechtlichen Vorgaben zum Errichten und zum Betrieb von Spielhallen gegen die Glücksspielsucht vor. "Sämtliche Studien belegen: Das Suchtpotenzial ist bei Geldspielgeräten am höchsten. Hier bestand Handlungsbedarf", sagte Jäger. Mit dem Verbot von EC- und Kreditkartenautomaten in Spielhallen will man zudem dem Verschuldungsrisiko entgegenwirken.

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