Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner "Utopien müssen sein"
BONN · In der vergangenen Woche sprach Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner bei einem Treffen des Bonner Medien-Clubs im Hotel Königshof unter anderem über das Festspielhaus und warnte vor möglichen Risiken bei den Betriebskosten. Im Gespräch mit Bernhard Hartmann und Andreas Baumann erläutert sie ihre Position.
Sie haben in einer Rede auf die Betriebskostenrisiken des Festspielhauses hingewiesen. Welche Reaktionen haben Sie in den vergangenen Tagen erreicht?
Nike Wagner: Ich war überrascht und verwundert über die massive Gegenreaktion der Festspielhausbefürworter: entsetzte Briefe, Warnungen, in Aussicht gestellte Rücknahme von Subsidien fürs Beethovenfest. Dabei habe ich nie ein Wort gegen das Festspielhaus gesagt. Im Gegenteil. Ich habe mehrfach deutlich gemacht, dass sich das Beethovenfest freut, wenn es ein neues Haus bekommt - vor allem auch aus akustischen Gründen. Woher kommt es dann, dass ich so in die Schusslinie genommen werde? Ist es nicht erlaubt, über die Realisierbarkeit eines solchen gewaltigen Vorhabens mitzudenken und in einer demokratischen Gesellschaft sachgemäß mitzudiskutieren?
Sie hatten ja unter anderem darauf hingewiesen, dass die im Business-Plan angenommene Zahl von 175 000 Besuchern pro Jahr möglicherweise zu hoch gegriffen wäre. Können Sie das ein bisschen erläutern?
Wagner: In dem glänzend recherchierten Artikel im General-Anzeiger vom 10. November ist alles gesagt - auf der Basis der Kenntnis des Business-Planes. Wer den Artikel gelesen hat, kann sich um gewisse Fragen nicht herumdrücken. Ein Langzeit-Business-Plan wie der vorliegende ist notgedrungen voller Hypothesen. Und alle Feldforschungen und vergleichenden Analysen helfen nicht, wenn sie nicht mit der Tatsache eines schwindenden Klassikpublikums verrechnet werden. Deshalb erschien mir die genannte Zahl sehr hoch gegriffen. Zugegeben: Die Region ist bevölkerungsreich. Aber wir müssen auch sehen, was das heißt: zwei gleich große Konzerthallen nebeneinander und die Kölner Philharmonie in 20 Minuten Entfernung...
Der Business-Plan sieht ja vor, zwei weitere kleinere Festivals zu installieren. Wie schätzen Sie das ein?
Wagner: So weit ich verstanden habe, soll es ein großes Osterfestival geben und dazu eine Weihnachtssaison. Natürlich muss man in solchen Programm-Blöcken denken. Man muss dann aber auch mit der veränderten Lage der Dinge zufrieden sein. Etwas, was jetzt bekannt, gesichert und überschaubar ist - das Beethovenfest - wird in einen größeren Kontext eingemeindet, bildet dann etwa ein Drittel der beiden anderen Klassik-Aktivitäten. Von diesen anderen zwei Dritteln wissen wir noch gar nichts. Die jetzige "Leuchtturmfunktion" des Beethovenfestes aber wird es sicher nicht mehr geben, wohl auch deshalb, weil die Finanzstrukturen sich ändern werden..
Würden zur Finanzierung der neuen Festivals zusätzliche öffentliche Gelder benötigt?
Wagner: Zunächst muss einmal die Stiftung gegründet werden, in die auch öffentliche Gelder einfließen. Die Stiftung soll den Betrieb garantieren. Aber da sind auch noch nicht alle Fragen geklärt: Wird man von den Zinserträgen den laufenden Betrieb denn erhalten können? Auf jeden Fall wird man für alle großen Orchesterkonzerte Sponsorengelder einwerben müssen. Die Defizit-Gefahr ist hier größer als bei den vielen kleinen Konzerten, die das jetzige Beethovenfest tragen. Die beiden zusätzlichen Festivals werden, um finanziell erfolgreich zu sein, der "Eventkultur" frönen müssen - nach dem Vorbild der Salzburger Osterfestspiele, mit Stars und rotem Teppich, aber definitiv ohne ein Zugpferd wie Karajan.
Das neue Festspielhaus muss sich auch von dem gemischten Angebot in der alten Beethovenhalle nebenan abheben, es muss ein starkes, hochklassiges Profil erstellen und braucht finanzstarke Partner dazu. Aber - Utopien müssen sein, es kommt vielleicht alles anders als man denkt, und den Eiffelturm wollten damals auch nur wenige....
Der Vorsitzende der Bürger für Beethoven, Stephan Eisel, sagt, ohne ein neues Konzerthaus wäre das Beethovenfest selbst in Gefahr? Wagner: Wie kommt er zu einer so defätistischen Ansicht? Das Festival hat in den vergangenen 15 Jahren gut funktioniert, ist immer erfolgreicher und größer geworden und versucht jetzt, mit neuen Formaten ein neues Publikum anzuziehen. Die Bürger für Beethoven, die so glorios agiert haben vor 20 Jahren, können mir doch nicht verwehren, die Sorgen der Bonner ernstzunehmen, denen der WCCB-Schock noch tief in den Knochen steckt.
Wenn Bonn ein Festspielhaus hat, ist es dann noch möglich, auch die Oper weiter zu finanzieren? Müssen sich die Bonner zwischen den beiden kulturellen Leuchttürmen entscheiden?
Wagner: Da bin ich hemmungslos unrealistisch: Ich will, dass die Oper erhalten bleibt. Komme, was da wolle. Sie ist hier gewachsen, sie ist für den kulturellen Zusammenhang der Stadtgesellschaft unerlässlich. Dass auch mittelgroße Städte über Opernhäuser verfügen, macht es ja aus, dass wir immer noch mit dem Namen Kulturnation hausieren gehen.
Wie würde es aussehen, wenn Sie entscheiden müssten zwischen den Risiken bei einem Festspielhausbetrieb oder 30 Millionen Euro für die angemessene Sanierung der Beethovenhalle?
Wagner: Da müsste ich mich für Unternehmertum und "Fortschritt" oder Respekt vor der Geschichte entscheiden. Das ist nicht meine Aufgabe in Bonn.
Sie saßen ja auch in der Jury des Architektenwettbewerbs. Haben Sie einen Favoriten?
Wagner: Ich finde Kadawittfeldt von der Innengestaltung her interessant und gut, aber ich würde letztlich doch dem Chipperfield-Entwurf den Vorzug geben. Er passt sich kontrapunktisch, aber diskret und formsicher in den Kontext ein. Außerdem hat er für das Beethovenfest den Vorteil eines multifunktionellen und variablen Raumes, der sogar szenische Performances zulässt. Den klassischen "mittleren Konzertsaal", den Bonn braucht, gibt es freilich bei keinem aller vorgelegten Entwürfe.