Ratsgruppe BIG Splitterpartei geht von Bonn aus auf bundesweiten Stimmenfang

BONN · Drei Jahre sind es nun her, dass das Bündnis für Frieden und Fairness (BFF), der Vorläufer des Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), aus dem Stand neu in den Stadtrat gewählt wurde - und dennoch ist die von Bonner Muslimen mitgegründete Partei bei vielen Bürgern eine politische Unbekannte geblieben.

Konstituierende Ratssitzung. Hülya Dogan und Haluk Yildiz freuen sich über den Einzug in den Stadtrat 2009.

Konstituierende Ratssitzung. Hülya Dogan und Haluk Yildiz freuen sich über den Einzug in den Stadtrat 2009.

Foto: Barbara Frommann

Auch die - vorübergehende - bundesweite Aufmerksamkeit vor den Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus konnte daran nicht viel ändern: Unter der Überschrift "Alle Kinder schützen" sprach sich BIG mit einer Kampagne gegen ein vermeintlich geplantes "Schulfach Schwul" an Berliner Schulen aus.

Zuletzt berichtete der GA über BIG und den Rat der Muslime, aus dem heraus sich die Partei gründete, weil die Extremismusforscherin Claudia Dantschke von der Berliner Gesellschaft Demokratische Kultur beiden Organisationen ein "ignorantes Verhalten" gegenüber der Salafistenszene in Bonn vorgeworfen hat (siehe Artikel unten).

2006 gründete der heute 44 Jahre alte türkischstämmige Unternehmensberater Haluk Yildiz in Bonn den ersten Zusammenschluss von Moscheen und anderen muslimischen Organisationen, den Rat der Muslime. Doch genauso wie sein 2009 gestartetes politisches Projekt verfing auch der Muslimrat nicht so recht in der breiten Öffentlichkeit.

Nicht nur, dass die damalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann zeit ihres Amtes Yildiz samt seinem Rat ignorierte. Selbst im Muslimrat wollte das konsensuale Verfahren, dem sich die Mitglieder verschrieben hatten, nicht wirklich gelingen. So zogen sich beispielsweise die von türkischstämmigen Migranten geprägten DITIB-Moscheegemeinden schon bald zurück.

2009 ging Yildiz, weiterhin Sprecher des Rats der Muslime, in die Politik: Er und die anderen Gründungsmitglieder - alles Männer aus den Reihen des Muslimrats - präsentierten das BFF als Wählergemeinschaft mit dem Ziel, Minderheiten und sozial Benachteiligten eine politische Stimme zu verleihen. Schon damals sollte nach Yildiz' Bekunden das BFF aber keine muslimische Partei sein, erst recht nicht der verlängerte Arm des Rats der Muslime, als den viele Politiker und Vertreter der Stadtverwaltung den BFF-Nachfolger BIG sehen, das ein 2010 gegründeter Zusammenschluss dreier Wählervereinigungen aus Bonn, Köln und Geslenkirchen ist.

Denn bis heute hat der gläubige Muslim Yildiz keine Trennung vom Rat der Muslime vollzogen, vielmehr nennt er sich mittlerweile dessen Dialogbeauftragter. Bezeichnete der GA BIG trotzdem als "muslimische Partei", bekam er geharnischte Briefe von Mitarbeiter Jakob Hackenberg, diese Bezeichnung zu unterlassen. Geschätzt seien etwa drei Viertel der Mitglieder Muslime, betont BIG-Bundesvorsitzender Yildiz. In den Ausschüssen des Stadtrats seien 50 Prozent der Mitglieder Nicht-Muslime.

Yildiz' Empfindlichkeit, in eine Schublade gesteckt zu werden, mag auch darin begründet sein, dass seine Partei bei Wahlen nur dann die Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann, wenn ihre Ideen möglichst viele potenzielle Wähler ansprechen: Mit dem vor allem auf Migranten zielenden Kernthemen Chancengerechtigkeit in Bildung und Beruf und Antidiskriminierungspolitik will die Splitterpartei den etablierten Parteien Wähler abluchsen - gelungen ist das bisher, außer in Bonn 2009, bei keiner Landtags- und Kommunalwahl.

In NRW erhielt BIG bei den jüngsten Landtagswahlen gerade einmal 0,14 Prozent der Stimmen. Einzig in Bonn holte das BFF nach seiner Gründung zwei Ratssitze: Neben Yildiz sitzt Hülya Dogan, 36, Audiologie-Assistentin und ebenfalls türkischstämmig, im Rat. "In Erscheinung treten sie aber quasi nicht", urteilt beispielsweise FDP-Ratsherr Joachim Stamp. "Wir dürfen als Partei mit Gruppenstatus im Stadtrat keine eigenen Anträge stellen", hält Yildiz dagegen.

Anders sieht es im Integrationsrat aus. "Dort sind die Vertreter von BIG sehr aktiv", konstatiert nicht nur SPD-Stadtverordneter Ernesto Harder, selbst Mitglied des Integrationsrats. Rahim Öztürker, viele Jahre Vorsitzender des Integrationsrates, findet lobende Worte für das BIG-Engagement für Migranten. "Sie müssen nur noch lernen, kompromissbereiter zu werden." Als größten Erfolg schreibt sich BIG den Migrantenförderplan für die Stadtverwaltung auf die Fahne, mit der die Zahl der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erhöht werden soll, eine Forderung, die zuvor schon im Integrationskonzept der Stadt niedergeschrieben war. "Wir haben dieses Thema aber vorangetrieben", kontert Yildiz.

Die Ratsfraktionen sehen die Integrationspolitik von BIG eher mit gemischten Gefühlen: "Ich finde, dass die Partei eher spaltet als eint", sagt FDP-Mann Stamp. Harder findet, "das Experiment BIG hat sich nicht gelohnt, Migranten sollten besser in den etablierten Parteien aktiv werden". Yildiz hatte die Gründung des BFF genau mit dem Argument begründet: Migranten hätten es immer noch schwer, sich in den etablierten Parteien Gehör zu verschaffen.

Doch auch von Migranten selbst kommt immer wieder Kritisches. So heißt es, die türkische Regierungspartei AKP unterstütze BIG über ihre deutsche Lobby-Gruppe, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Diese wird von Hasan Özdogan geleitet, der auch Vorsitzender des Muslimischen Sozialbunds mit Sitz in Bonn ist, dessen Geschäftsführer Yildiz ist. Dennoch bestreitet Letzterer, UETD-Mitglieder seien an der Gründung von BIG beteiligt gewesen. Nicht aber, "dass einige UETD-Mitglieder mittlerweile auch bei uns aktiv sind". Ebenso gebe es aber auch in den etablierten Parteien UETDler. Dass BIG sich schnell in 40 Städten mit 1000 Mitgliedern aufstellen konnte, sei ebenso allein durch Spenden und Beiträge gelungen wie die Finanzierung der Wahlkämpfe in sechs Bundesländern.

Claudia Dantschke prophezeit: "BIG ist in zwei Jahren Geschichte, weil die Themenwahl zu eindimensional ist." Es habe schon mal Versuche von türkischstämmigen Migranten gegeben, Parteien zu etablieren, immer seien sie gescheitert.

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