Das Bonner Studentenleben im Jahr 1890 Seitenhiebe gegen so manchen Professor

BONN · Studienbeginn im April 1890 in Bonn. Es tritt an: Richard Laspeyres, Sohn des bedeutenden Bonner Mineralogen Professor Hugo Laspeyres. Richard ist 18 Jahre jung, wissbegierig, voller Elan.

 Zeitzeuge: Der Bonner Mediziner Dr. Richard Laspeyres (1871-1965) auf einer Aufnahme von etwa 1951. REPRO: ROLAND KOHLS

Zeitzeuge: Der Bonner Mediziner Dr. Richard Laspeyres (1871-1965) auf einer Aufnahme von etwa 1951. REPRO: ROLAND KOHLS

Foto: Roland Kohls

Im Gegensatz zum Vater strebt er in die Medizin. "Die feierliche Immatrikulation durch den Rektor fand in der kleinen, aber schönen Aula statt", erinnerte sich Richard Laspeyres Jahrzehnte später: Was der Bonner Mediziner (1871-1965) im Studium erlebt hatte, schrieb er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in winziger Handschrift auf unzählige Rezeptblätter nieder. Sein Enkel Rolfdieter Schroers, selbst pensionierter Arzt, hat das Dokument transkribieren lassen und hütet es wie einen Schatz.

Das erste Kapitel überschrieb Großvater Richard, ganz im Stile Goethes, mit "Lehr- und Wanderjahre". Am Tag nach der Immatrikulation sei es ins erste Kolleg, in die Anatomie gegangen, heißt es da. "Zunächst war die Sache noch harmlos und auch ziemlich trocken, da nur von Knochen und Bändern die Rede war und in den praktischen Übungen die Gewebearten an mikroskopischen Präparaten gelehrt wurde."

Dann wurde es mit Sezierübungen an menschlichen Leichen ernst. Jetzt musste sich zeigen, ob man für die Medizin geeignet war. "Nun, bei mir langte es, das Interesse am menschlichen Körper und seinen wunderbaren Einrichtungen und Funktionen wuchs mit der zunehmenden Erkenntnis", schrieb Laspeyres lakonisch. Und dann skizzierte der spätere Bonner Arzt ebenso informativ wie vergnüglich ein pralles Studentenleben, wobei er sich auch so manche Kritik an so manchem Ordinarius durchaus nicht versagte.

Anatomie etwa: Professor für dieses Fach war "Freiherr von La Valette St. George, ein aristokratischer Herr; er sah dem alten Vittorio Emanuele mit seinem Knebelbarte verblüffend ähnlich", zog der belustigte Student Parallelen zum vormaligen italienischen König. Der Professor mit dem Riesenschnäuzer sei zwar "ein Original" gewesen, aber "sein anatomisches Kolleg war höchst oberflächlich; er fing gewöhnlich um halb acht seinen Vortrag an, um dreiviertel acht war er schon fertig und verschwand."

La Valette sei "uns Kollegensöhnen" jedoch schon automatisch gewogen gewesen, führt der amüsierte Laspeyres in seinen Erinnerungen aus. "Eine 1 war das Resultat im Physikum, aber auch als wir im Staatsexamen bei ihm erschienen, begrüßte er uns freundlich, schrieb eine 1 auf das vor ihm liegende Examensprotokoll, stellte an jeden eine Frage aus dem Gebiet der Anatomie und entließ uns mit besten Grüßen an die verehrten Alten."

So weit, so lustig. Es gab aber auch höchstes Niveau. "Gefürchtet im Examen war der berühmte Physiologe Eduard Pflüger. Er war ein kampflustiger Herr, ein lebhafter und höchst anregender Vortragender, ein brillanter Experimentator." Mit guten Noten sei der Professor sehr sparsam umgegangen. "So erhielt auch ich im Physikum und nachher im Doktorexamen nur eine 2 und ein Magna cum laude", wurmte es Richard noch Jahre später.

Anderen damals in Bonn Lehrenden zollte er ebenfalls Respekt. Etwa Eduard Strasburger: Der habe "wohl das eleganteste und anregendste Kolleg mit interessanten Übungen in mikroskopischer Anatomie und Physiologie der Pflanzen" gehalten und sich "als ein hochgebildeter und kenntnisreicher Mann auf allen Gebieten bewährt". Nicht so gut schnitt aber dann wieder der berühmte Physiker Heinrich Hertz ab. Laspeyres urteilt: "Ein sehr liebenswürdiger Mann, etwas linkisch, aber kein besonders guter Lehrer."

"Manche nette Bowle" wurde übrigens nach dem Lernen im Freundeskreis getrunken - im Rheinpavillon nahe dem Schänzchen, im Godesberger "Adler" oder "beim Ännchen, der Lindenwirtin". Zurück von Godesberg nach Bonn mussten die Studenten dann nachts zu Fuß gehen. "Die Dampfbahn ging damals noch nicht, sie wurde erst ein oder zwei Jahre später gebaut. Und auch die Pferdebahn wurde erst während der letzten Semester meines Studiums ins Leben gerufen." Kein Zweifel: Der angehende Mediziner muss sein Bonner Studentenleben sehr genossen haben.

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