Stärkung des politischen Ehrenamts SPD-Politiker verklagt Behörde nach Kündigung

BONN · Für den SPD-Stadtverordneten Sebastian Kelm und seinen Anwalt und Fraktionskollegen Dieter Schaper war der Kündigungsschutzprozess gestern im Arbeitsgericht Bonn so etwas wie ein Musterprozess zur Stärkung des politischen Ehrenamts.

 Sebastian Kelm

Sebastian Kelm

Foto: ga

Kelm hatte gegen die Kündigung durch seinen Arbeitgeber, das Statistische Bundesamt, geklagt. Die Behörde hatte ihm vorgeworfen, sein Arbeitszeitkonto aufgrund seiner Ratsarbeit mit 65 Minusstunden zu hoch belastet zu haben.

Dabei seien nur 16 Minusstunden pro Monat erlaubt, erklärten die beiden Vertreter der Behörde, die zur Verhandlung vor der dritten Kammer erschienen waren. Trotz Personalgesprächs und einer Abmahnung habe Kelm nichts unternommen, um sein Arbeitskonto auszugleichen, wirft ihm der eine Vertreter vor. Kelm hätte den Nachweis erbringen müssen, dass er im Auftrag des Rates tätig gewesen sei, ergänzte dessen Kollegin. Ein weiterer Vorwurf: Kelm sei von Kollegen während einer Ratssitzung gesehen worden, obwohl er sich in dieser Zeit eigentlich krank gemeldet hatte.

Der 29-jährige Stadtverordnete, der dem Rat seit der Kommunalwahl im Mai 2014 angehört, hält dagegen. "Ich hatte mich bei meinem direkten Vorgesetzten wegen der Nachweise über meine Ratsarbeit erkundigt", erklärte Kelm, doch der habe ihm mitgeteilt, die NRW-Gemeindeordnung, in der in Paragraf 44 die Freistellung bei einem Ratsmandat geregelt ist, gelte für die Behörde nicht. Das sei natürlich Unsinn. Doch weil sein Vorgesetzter seinen vom Ratsbüro ausgestellten Nachweis über seine Ratstätigkeit abgelehnt habe, hätte er schließlich darauf verzichtet, weitere Nachweise vorzulegen. "Das hätte ja nichts gebracht", sagte Kelm.

Zum Beweis zeigte er später ein Schreiben des Bundesamtes, in dem sein Antrag auf Teilnahme als Ratsherr an einer Aufsichtsratssitzung abgelehnt wird mit der Begründung, dass sie "in keinem begründetem dienstlichen Interesse" stehe. "Wir haben ausgerechnet, dass mein Mandant sogar auf ein Zeit-Guthaben von einer Stunde und acht Minuten kommt, wenn er seine Ratstätigkeit angerechnet bekommen hätte", erklärte Schaper. Das müsse nach seiner Auffassung auch im Krankheitsfall geschehen.

"Manchmal kommt es im Rat auf jede Stimme an. Da werden Stadtverordnete nicht nur aus dem Krankenbett, sondern auch aus dem Urlaub geholt", sagte Schaper, der seit 20 Jahren im Stadtrat sitzt. Im Laufe der Verhandlung wurde deutlich: Offensichtlich gab es auf beiden Seiten Kommunikationsschwierigkeiten.

"Der Kern des Problems scheint mir zu sein, dass Sie aneinander vorbeigeredet habe", sagte Richter Wilfried Löhr-Steinhaus und erklärte, für ihn sei die Kündigung unwirksam. Der Kläger sei unstreitig als Ratsmitglied tätig, diese Zeit müsse ihm der Arbeitgeber anrechnen.

Ein Urteil muss der Richter nicht sprechen: Überraschend schlug Kelm vor, sein Arbeitsverhältnis im Juni zu beenden. Die Beklagte willigt ein. Später verriet Kelm, er habe einen neuen Job in Aussicht. Der Prozess sei allerdings wichtig gewesen, weil er deutlich mache, wie viele Steine ehrenamtlichen Politikern in den Weg gelegt würden. "Das führt dazu, dass sich immer weniger engagieren." Dabei, so Schaper, gehöre die Ratsarbeit "zu den Grundzügen unserer Demokratie".

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