Kommentar Pranger ist Mittelalter

Über dem Kopf der weite Himmel, in den Ohren Musik und im Gesichtskreis lauter gut gelaunte, entspannte Menschen: Es hat Gründe, warum Bonn eine so lebenswerte Stadt ist.

Einer davon: Die Bonner verstehen es, zu feiern. Ob Godesberger Stadtfest, Pützchens Markt oder Rhein in Flammen: Diese Veranstaltungen prägen die Atmosphäre, den Grundton der Stadt.

Doch es wird stiller in Bonn. Museumsplatzkonzerte, Rhein-Kultur-Festival, Bonner Sommer in der Innenstadt - aus diversen Gründen beerdigt. Die beliebte Klangwelle rollt nach Anwohnerbeschwerden nicht mehr auf dem Münsterplatz, sondern an der Ahr. Und die Macher der Kunst!Rasen-Konzerte stehen nicht nur wirtschaftlich unter Druck, sondern haben einen Lärmkläger auf der anderen Rheinseite gegen sich, der bislang vor Gericht erfolgreich war.

So wächst die Wut bei vielen Bonnern, denen die Open-Air-Veranstaltungen wichtig sind. Das ist verständlich. Es ist auch vollkommen in Ordnung, auf dem Münsterplatz lautstark gegen vermeintliche "Lärm-Motzkis" zu protestieren. Aber sich vor dem Haus eines - offenbar besonders aktiven - Beschwerdeführers aufzubauen und "Raus aus Bonn" zu brüllen, wie es vorige Woche geschehen ist, geht zu weit.

Dass zu den Initiatoren des "Flashmobs" Jürgen Harder (Rhein in Flammen) und Hans-Wilhelm Eichholz (Klangwelle) gehörten, macht die Aktion noch fragwürdiger: Als Veranstalter verfolgten sie damit wohl auch eigene wirtschaftliche Ziele. Man mag sich über den lärmempfindlichen Anwohner ärgern. Aber der Mann nimmt lediglich seine Rechte wahr, wenn auch mit bemerkenswerter Rücksichtslosigkeit auf öffentliche Interessen. Ihn an den Pranger zu stellen, ist der falsche Weg. Richtig wäre gewesen, wenn die Stadtverwaltung beim Streit um die Klangwelle ihren Entscheidungsspielraum ausgereizt und notfalls einen Gerichtsprozess riskiert hätte.

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