Respekt sinkt dramatisch Polizeibeamte klagen immer häufiger über aggressives Verhalten bei Einsätzen

BONN · Es war ein Einsatz am Samstag, 11. Oktober, wie ihn Streifenbeamte der Bonner Polizei immer öfter erleben. Ein Passant in Königswinter fühlte sich von einem Kasachen (29) und einem Deutsch-Rumänen (30) aus dem Nichts bedroht. Als gegen 16.30 Uhr eine Streifenwagenbesatzung eintraf, wollten die Täter fliehen. Die Beamten forderten sie zum Stehenbleiben auf. "Knallt uns doch direkt ab, f... euch, ihr Bullen", pöbelte einer der alkoholisierten Männer los. Später stellte sich heraus: Beide sind der Polizei bestens bekannt und hatten etwa drei Promille Alkohol im Blut.

Mit Handschellen und Kabelbindern versuchten die beiden Beamten die Randalierer, von denen einer ein Tattoo "Fuck the Police" trug, am Boden zu fixieren. Einer der Schläger schaffte es, sich zur Seite zu drehen und einem Beamten einen Tritt gegen den Kopf zu versetzen.

Der Polizist musste später ins Krankenhaus, auch einer der Täter verletzte sich. Der andere Streifenbeamte organisierte Verstärkung und Rettungswagen. Als eine Polizistin vor Ort eintraf, empfing sie einer der Täter sofort mit den Worten: "Du Polizeischlampe, ich mach deine Familie kaputt."

Die Übergriffe gegen weibliche Rettungskräfte setzten sich im Rettungswagen fort. Sie wurden derart bespuckt, dass sie einen Mundschutz aufsetzen mussten. Erst in der Arrestzelle kamen die Randalierer zur Ruhe.

Zurück blieben Polizeibeamte, die einmal mehr erfahren mussten, dass die Achtung gegenüber ihrem Beruf schwindet. Die Botschaft ist auch bei der Leitung des Polizeipräsidiums angekommen. Immer mehr Polizisten klagten über zunehmende "Distanzunterschreitung und Respektlosigkeit", wie es Helmut Pfau, Leiter der Direktion Gefahrenabwehr und Einsatz, beschreibt.

Seit Jahren beobachtet der leitende Polizeidirektor, dass etwa eine routinemäßige Kontrolle sofort mit einer aggressiven Kommunikation beginnt. Schnell stehen sich Kontrollierter und Beamter gegenüber. Auch das Filmen mittels Handy kennen Polizisten zur Genüge. Nicht selten kommt es zu handfesten Übergriffen. Polizistinnen haben laut Pfau besonders unter verbalen Übergriffen junger Migranten zu leiden, "weil auch die sexuelle Komponente eine große Rolle spielt".

Oft sind Alkohol und Drogen im Spiel, sagt Pfau. Viele derjenigen, die eine geringe Hemmschwelle haben, seien junge Männer, meist mit Migrationshintergrund. "Die Gruppe ist deutlich überrepräsentiert", sagt Pfau. Besonders auffällige Bezirke sind die Bonner Innenstadt und Neu-Tannenbusch, wie schon 2009 eine Abfrage aller Wachen ergab.

Inzwischen seien viele Situationen noch brisanter geworden, konstatiert Polizeidirektor Pfau. Bei Kontrollen würden Kumpel der Betroffenen auftauchen "und eine drohende Haltung einnehmen". Bei bestimmten Einsätzen rücke nachts kein Streifenwagen mehr ohne Unterstützung nach Neu-Tannenbusch aus. Vor vier Jahren war eine Besatzung bei einem nächtlichen Einsatz dort in einen regelrechten Hinterhalt geraten und von jungen Leuten mit Steinen beworfen worden. Was die Beamten frustriert: Anzeigen etwa wegen Beleidigung oder Widerstands gegen einen Vollstreckungsbeamten werden nach Meinung der Betroffenen zu oft eingestellt.

Rund 140 Sachverhalte werden laut Kriminalstatistik jedes Jahr angezeigt. "Doch aus den unterschiedlichsten Gründen erfolgt oft keine Strafe", sagt der Polizeidirektor. Auch, weil sich die Täter mit Gegenanzeigen zu helfen wüssten. Die Polizeiführung reagiert mit Schulungen für die Beamten, um Anzeigen juristisch wasserdichter zu gestalten. Auch sucht sie das Gespräch mit Richtern und Staatsanwälten, um diese noch mehr für die Problematik zu sensibilisieren: "Eine Strafe muss auf dem Fuß folgen", so Pfau.

"Wo sonst ist eine starke Sanktion zu erwarten? Diese Frage muss sich die Justiz stellen", meint auch Udo Schott von der Gewerkschaft der Polizei in Bonn. Er warnt vor "steigender Frustration und Resignation" bei den Kollegen. Um dem Thema mehr Gewicht zu verleihen, macht Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa von ihrem Recht Gebrauch, in jedem Fall auch selbst Anzeige zu erstatten. Dem Vernehmen nach gibt es aus der Justiz erste positive Signale auf Gesprächsangebote der Polizei.

Gleichzeitig sieht Pfau die Polizei in der Pflicht, das eigene Auftreten zu hinterfragen. "Herablassende und unfreundliche Kommunikation steigert die Gewaltbereitschaft", sagt Professor Max Hermanutz von der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. Nötig sei die "konsequente Wahrung eines gepflegten und einheitlichen äußeren Erscheinungsbilds der Beamten", da dieses "mit Respekt und Akzeptanz von Seiten des polizeilichen Gegenübers assoziiert" werde. Klar ist aber auch: Gewaltbereiten Tätern ist das egal. In dem Fall hilft laut Pfau nur, "klare Kante zu zeigen". Notfalls mit einer Einsatzhundertschaft.

Dass in dem Thema Respektlosigkeit und Übergriffe gegen Beamte noch viel Brisanz steckt, wurde Ende 2013 anlässlich eines als wegweisend eingestuften Seminars im Präsidium offensichtlich. Das war für jene Kollegen gedacht, die im Dienst verletzt worden waren. Unter den Wünschen an die Polizeipräsidentin war der, "dass man sich stärker um Betroffene kümmert", berichtet Pfau. Der GA wird in einem Folgeartikel Staatsanwaltschaft und Richter zur Ahndung von Delikten gegen Polizisten zu Wort kommen lassen.

Widerstand, Beleidigung und Bedrohung

Etwa 140 bis 160 Fälle registrierte die Bonner Polizei in der Vergangenheit pro Jahr in Sachen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte". Bei einer Erhebung 2010 wurden 166 Fälle gezählt. 114 Tatverdächtige waren polizeibekannt, 99 waren alkoholisiert.

Im Jahr 2011 ergab sich ein vergleichbares Bild. Von 126 Tatverdächtigen kannte die Polizei bereits 86, 40 waren sogar Mehrfach- und Intensivtäter, 83 hatten getrunken. "Das Dunkelfeld ist groß, weil wir zu Delikten wie Beleidigung und Bedrohungen keine Zahlen haben", sagt GdP-Mann Schott.

Eine echte "Zäsur" war für die Bonner Polizei im Mai 2012 erreicht: Extrem gewaltbereite Islamisten hatten im Zuge einer Pro-NRW-Demonstration in Lannesdorf Polizisten mit Messer attackiert und zum Teil schwer verletzt.

Allein von Anfang September bis Mitte Oktober verzeichnete die Polizei 44 Anzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. "Das ist eine hohe Zahl für diese Jahreszeit", kommentierte das Polizeisprecher Robert Scholten.

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