100. Jahrestag der Entdeckung "Oberkasseler Grab" sorgt für Furore

BONN · Im Februar 1914 entdeckten Arbeiter im Steinbruch an der Rabenlay in Oberkassel die Skelette einer etwa 20 Jahre alten Frau und eines 40 bis 45-jährigen Mannes, Reste eines Hundes, Kunstgegenstände und weitere Tierknochen eingebettet in rötlich verfärbtes Sediment. Als "Doppelgrab von Oberkassel" ging der Fund später als wissenschaftliche Sensation in die Geschichte ein.

Doch nicht nur zum 100. Jahrestag seiner Entdeckung, sondern ein knappes Jahr zuvor sorgt der "Oberkasseler Mensch" für Schlagzeilen. Ein Forscher an der Uni Tübingen hat jetzt herausgefunden, dass der moderne Mensch vor weniger als 95 000 Jahren von Afrika aus seinen Siegeszug über die ganze Welt angetreten hat.

Zu diesem Schluss kommt ein internationales Expertenteam unter Federführung von Professor Johannes Krause. Bei der Untersuchung spielte das berühmte Doppelgrab eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse der Studie werden nun in "Current Biology" vorgestellt.

Untersuchungen mit der Radiokarbon-Methode ergaben ein Rekordalter von rund 14.000 Jahren. Damit handelt es sich bei den Skeletten aus der Späteiszeit um den ältesten Fund des modernen Menschen (Homo sapiens) in Deutschland. Derzeit werden die Knochen einer groß angelegten wissenschaftlichen Neuuntersuchung unter Federführung des Bonner Landesmuseums unterzogen - und machen erneut Furore.

In der aktuellen Studie zur Berechnung der Mutationsrate der mitochondrialen DNA, die Krause federführend durchführte, schließt der Oberkasseler Fund eine wichtige Lücke. In Form einer Zeitreihe untersuchten die Forscher die Erbsubstanz mehrerer fossiler Menschen, die vor rund 700 bis 40.000 Jahren lebten. "Die Oberkasseler Skelette sind in dieser Reihe die einzigen, die aus dem Zeitraum um 14.000 Jahre stammen", berichtet Mitautorin Liane Giemsch, die für das Landesmuseum und die Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Uni Bonn im Oberkassel-Projekt forscht.

Durch Analysen von insgesamt zehn Fossilien aus Europa und Ostasien berechneten die Wissenschaftler, dass der Auszug des moderen Mensch aus Afrika nach den aktuellen Ergebnissen des internationalen Forscherteams vorfrühestens 95.000 Jahren begonnen hat. Wann sich zwei Entwicklungslinien von einem gemeinsamen Vorfahren abgespalten haben, lässt sich mit der "Molekularen Uhr" nachvollziehen. Diese Methode erfasst durch den Vergleich mehrerer Individuen die Zahl der Erbgutveränderungen (Mutationen). Je weiter sich zeitlich die Entwicklung von dem gemeinsamen Vorfahren entfernt, desto mehr Mutationen häufen sich in den Individuen an.

Um die Zeitpunkte der jeweiligen Abspaltung neuer Entwicklungslinien zu bestimmen, mussten die Forscher herausbekommen, wie schnell die "Molekulare Uhr" tickt. "Vom Oberkasseler Paar wurden hierfür Proben aus Oberarm und Zahnwurzeln entnommen", berichtet Giemsch. Zusammen mit dem Alter des jeweiligen Fossils, das zuvor mit der Radiokarbon-Methode analysiert worden war, ließ sich die Mutationsrate bestimmen.

Damit wurde die Molekulare Uhr für die Funde geeicht. "Die aktuellen Ergebnisse decken sich weitgehend mit den Ergebnissen archäologischer und anthropologischer Studien", ist sich Liane Giemsch sicher. "Die Zahlen liefern nun ein klareres zeitliches Bild vom modernen Menschen und seiner Ausbreitung aus Afrika." Zudem gewähren die genetischen Studien des internationalen Forscherteams neue Einblicke in das Oberkasseler Paar.

"Wir wissen nun, dass beide nicht so eng miteinander verwandt waren, wie Geschwister es sind." Das Forschungsprojekt der Grabfunde ist 2009 am Landesmuseum an den Start gegangen. Die beiden Skelette tragen seitdem einen Spitznamen: "Adam und Eva aus dem Rheinland".

Doch wie haben der Mann und die Frau vor rund 14.000 Jahren gelebt? Stammten sie von hier oder waren sie zugewandert? Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit 2014 zum 100. Jahrestag des Fundes präsentiert - samt Gesichts-Rekonstruktionen, die eine Gerichts-medizinerin aus Frankfurt erstellt. An dem internationalen und multidisziplinären Projekt, das Johannes Krause leitet, sind 30 Wissenschaftler beteiligt.

Die Untersuchung ist durchaus mit den umfangreichen Forschungen zum Neandertaler vergleichbar. Finanziert wird sie mit 250.000 Euro aus der regionalen Kulturförderung des LVR und mit Geld aus einer privaten Stiftung. Erkenntnisse erwarten Giemsch und ihr Team vor allem vom Röntgen der Skelette in bis zu 150.000 Scheibchen im Leipziger Max-Planck-Institut.

Die Technik bietet den Archäologen heute Möglichkeiten, von denen ihre Kollegen bei der Einordnung des zunächst in einer Sprengstoffkiste gelagerten Fundes vor 100 Jahren kaum zu träumen gewagt hätten. Sie gibt Aufschlüsse über die Lebensgewohnheiten der frühen Rheinländer aus der späten Eiszeit.

Auffallend sind die beim Mann die ausgeprägten Muskelansätze, die auf ungewöhnliche Körperkraft schließen lassen, während die Frau zierlich und schmal war. Den Toten wurden eine kleine Figur aus Knochen und Geweih sowie ein 20 Zentimeter langer Knochenstab mit Tierkopf beigegeben. Die rötliche Färbung der Knochen stammt von dem zur Beisetzung verstreuten Hämatit.

Der Oberkasseler Mensch

Der "Oberkasseler Mensch" zählt zu den berühmtesten jungpaläolithischen Fossilien Deutschlands. Es handelt sich um die Skelette eines älteren Mannes, einer jüngeren Frau, eines Hundes, um weitere Knochen und Kunstgegenstände. Deren Alter schätzen Wissenschaftler auf etwa 12.000 bis 15.000 Jahre.

Den sensationellen Fund machten Steinbrucharbeiter im Februar 1914 in einer mit Rötel gefüllten Mulde an der Rabenlay in Oberkassel. Auf das Engagement des Volksschullehrers Franz Kissel hin wurden die Fossilien dem Rheinischen Landesmuseum übergeben, wo man sie besichtigen kann.

Die Publikation "A Revised Timescale for Human Evolution Based on Ancient Mitochondrial Genomes" ist im Internet zu finden.

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