Der Film-Skandal Mit den Stars des deutschen Nachkriegskinos

Bonn · Kein Jahr nach dem Mord an Rosemarie Nitribitt hat der Film "Das Mädchen Rosemarie" in Berlin Premiere.

1996: Nina Hoss als Rosemarie Nitribitt im Fernsehen.

1996: Nina Hoss als Rosemarie Nitribitt im Fernsehen.

Foto: dpa

Was für ein Filmstoff, denkt sich der Journalist Erich Kuby nach dem Tod der Nitribitt und schreibt ein Drehbuch. Produzent Luggi Waldleitner und Regisseur Rolf Thiele engagieren für die Haupt- und Nebenrollen die erste Riege der Stars des deutschen Nachkriegskinos - und machen andere durch den Film zu neuen Stars: Nadja Tiller (als Rosemarie), Mario Adorf, Gert Fröbe, Carl Raddatz, Peter van Eyck, Hanne Wieder, Helen Vita, Horst Frank, Karin Baal, Hubert von Meyerinck.

Und sie holen Jo Herbst von den Berliner "Stachelschweinen", der für den Film bitterböse Moritaten in Brecht-Manier schreibt. Denn der Film soll, so Kubys Idee, nicht Leben und Sterben einer Dirne dokumentieren, sondern vielmehr die Nitribitt als Metapher benutzen für das "Phänomen des deutschen Wirtschaftswunders mit all seinen Begleiterscheinungen".

Am 28. August 1958, kein Jahr nach dem Mord, feiert der Skandal-Film Premiere in Berlin. Mit allerlei Widerständen hatte Kuby, der "Nestbeschmutzer von Rang", wie ihn Heinrich Böll einmal respektvoll nannte, im Vorfeld gerechnet: Verweigerte Drehgenehmigungen im Dutzend, die "Katholische Filmkommission" läuft Amok, die Kinobesitzer-Verbände rufen zum Boykott auf.

Und die FSK-Zensoren bestehen auf einem Vorspann, der zum Ausdruck bringen soll, dass die im Film beschriebenen gesellschaftlichen Missstände "eine Ausnahme" im bundesrepublikanischen Alltag darstellen.

Auswärtiges Amt verbietet die Ausfuhr des Films

Als "Das Mädchen Rosemarie" zu den Festspielen nach Venedig eingeladen wird, verbietet das Auswärtige Amt die Ausfuhr des Films: Er schade dem deutschen Ansehen im Ausland, urteilt das Ministerium. Also schmuggelt Produzent Luggi Waldleitner eine Kopie unter der Matratze seines Schlafwagenabteils über die Grenze.

Nicht gerechnet hat Journalist und Autor Kuby allerdings mit der Haltung mancher Medien, zum Beispiel mit der heftigen Reaktion eines Hamburger Nachrichtenmagazins: Was für ein Unsinn, urteilt "Der Spiegel" gnadenlos, in einer Prostituierten das Symbol des deutschen Wirtschaftswunders sehen zu wollen: "Durch welcherlei Kombinationen Kuby zu diesem Schluss gelangte, ist bisher verborgen geblieben."

Und weiter: "Ein biographischer Dirnenfilm hätte auch schwerlich gedreht werden können, da aus dem Leben der Nitribitt nur einige belanglose Details bekannt sind."

Eine geschichtslose und facettenlose Kunstfigur

Belanglos sind Details über Menschen, die soeben ermordet wurden, zwar selten. Aber tatsächlich wusste man damals nicht allzu viel über den Menschen Rosemarie Nitribitt, weder die Polizei noch die Medien. Die nur 24 Jahre währende Lebensgeschichte einer toten Prostituierten interessierte damals niemanden.

Die Illustrierten begeisterten sich vornehmlich für Schlüpfriges und beteiligten sich an dem Rätselraten, wer denn wohl die Kunden gewesen sein mochten. Die Medien der deutschen Nachkriegszeit schufen eine geschichts- und facettenlose Kunstfigur, eben "die Nitribitt", personifizierte Sünde, verpackt in Chanel und Dior, ausstaffiert mit Pelzmantel und Perserteppich, die binnen weniger Monate vom Fürsorgezögling zur Grande Dame mutierte.

Auch Kubys Drehbuch spart die dramatische Kindheit und Jugend der Rosemarie Nitribitt aus und missbraucht das Mordopfer postum als Werkzeug seiner Wirtschaftswunder-Persiflage.

Eichingers erste Regiearbeit

Fast vier Jahrzehnte später macht sich Filmproduzent Bernd Eichinger in seiner ersten Regiearbeit an ein aufwendiges TV-Remake (mit ebenfalls prominenter Besetzungsliste) für den Privatsender Sat.1, das 1996 ausgestrahlt wird und die damals noch völlig unbekannte junge Schauspielschülerin Nina Hoss in der Hauptrolle über Nacht zum Star macht.

"Das Mädchen Rosemarie": derselbe Titel, aber diesmal ein scheinrealistisches Historiendrama statt der absurden Persiflage von 1958. Nur: Der historischen Figur Rosemarie Nitribitt und ihrer Lebensgeschichte wurde Eichinger damit ebenso wenig gerecht.

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