Lesung aus Feldpostbriefen "Man muss sich nur flink wegducken"

Bonn · Bedrückende Lesung aus Feldpostbriefen belegt, wie verblendet junge Männer in den Ersten Weltkrieg zogen

 Mit Passagen aus den Briefen junger Soldaten von der Front fesseln Matthias Höhn (von links), Klaus Herkenrath und Michael Klevenhaus ihre Zuhörer.

Mit Passagen aus den Briefen junger Soldaten von der Front fesseln Matthias Höhn (von links), Klaus Herkenrath und Michael Klevenhaus ihre Zuhörer.

Foto: Barbara Frommann

Bonn. Der neue Vollbart stehe ihm gut, das Essen sei für die Verhältnisse gar nicht mal so übel, und der Granatenbeschuss der Engländer halb so schlimm - man müsse sich lediglich flink wegducken können, schreibt Ernst Habermas, stationiert in der Gegend von Laon/Frankreich, im Sommer 1914 an seine Bonner Burschenschaft. Dass sich der Krieg jedoch noch etwas hinziehen werde, davon gehe er aus. "Wir werden hier wohl noch bis Weihnachten zubringen", lautet seine optimistische Einschätzung. Habermas' Feldpost an seine Bonner Kommilitonen ist einer von zahlreichen Frontbriefen aus dem Universitätsmuseum, die Klaus Herkenrath und Michael Klevenhaus am Mittwochabend im FAZ-Café vorlasen.

Die Schriftstücke dokumentieren, wie anfängliche Euphorie junger Kriegsteilnehmer von der blutigen Realität in den Schützengräben und der Aussichtslosigkeit der Schlacht eingeholt wird. Unter ihnen Johannes Wierich, ein 22-jähriger Lehramtsstudent, dessen Schilderungen sich wie ein roter Faden durch die Lesung ziehen. Im Mai 1915 schreibt der junge Mann, eingesetzt im nordfranzösischen Dörfchen Coulommes, seinen Eltern in Küdinghoven, dass er keinerlei Angst habe, die "Franzmänner" schössen eh immer zu weit - nur wenige Monate später bittet er sie, ihm ein Gebetbuch an die Front zu schicken. "Ich denke, Beten ist der einzige Schutz."

Er berichtet von Gefreiten, die den Rosenkranz wie ein Gewehr stets zur Hand hätten. Der Alltag im Schützengraben, die Zeitspannen, in denen der Alarm schweige, seien zwar alles andere als komfortabel, aber erträglich: "Wir haben kein Wasser, ich habe mich seit Tagen nicht gewaschen. Allmorgendlich befreien wir unsere Hemden von Läusen." Geschlafen würde in kompletter Montur, "ein paar Säcke dienen als Kopfkissen". Gegenüber seinen Eltern äußert er Kritik an der Umgangsweise der deutschen Soldaten mit den Einheimischen. "Die Einwohner dieser Gegend haben's nicht rosig. Sie müssen uns mit Essen versorgen und dürfen keine Widerworte geben. Sie erfahren keine Gnade."

Ostern 1916 sendet Universitätsrektor Anschütz "innige Grüße an diejenigen, die in die Welt hinausgezogen sind". In den Instituten freue man sich auf eine baldige Vereinigung und die Wiederaufnahme gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit. Kurze Zeit später schreiben Kompanieangehörige nach Küdinghoven. Wierich sei seit einem französischen Angriff auf Aushebungsarbeiten an einem neuen Graben nicht mehr gesehen worden. "Vielleicht ist er zurück, um seinen Tornister zu holen, oder von einem Flankenfeuer getroffen worden. Vielleicht ist er in Gefangenschaft."

"Die Lesung hat nochmals verdeutlicht, wie verblendet die jungen Männer in den Krieg gezogen sind und wie überzeugt sie von einem erfolgreichen Ausgang waren", resümierte Student Daniel Granados. Thomas Becker, Leiter des Unimuseums, betonte, dass die Erinnerungen an diesen furchtbaren Krieg umso klarer machten, "wie wichtig die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ist - besonders in diesen Tagen". Im vergangenen Jahr fand die Lesung "...vermissten wir unseren geliebten Sohn" parallel zur Ausstellung "Kampf durch Wort und Schrift" erstmals statt. Thomas Becker kündigte an, dass er sich eine Fortsetzung der Veranstaltung im nächsten Jahr vorstellen könne.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort