Bescheid vom Jobcenter Indischer Familienvater wartet seit Monaten auf Geld

BONN · Arnut Agarwal (Name geändert) sitzt mit seinen drei Kindern in der fast unmöblierten Wohnung. Nur ein Wandteppich erinnert an die Heimat, aus der die Kinder vor drei Jahren zum Vater kamen. Noch immer warten sie auf den Bescheid vom Jobcenter.

 Tatkräftige Unterstützung beim Verstehen und Verfassen von Schriftwechseln sowie bei Besuchen im Jobcenter erhält Arnut Argawal von Rolf Rau.

Tatkräftige Unterstützung beim Verstehen und Verfassen von Schriftwechseln sowie bei Besuchen im Jobcenter erhält Arnut Argawal von Rolf Rau.

Foto: Hagenberg-Miliu

So werden sie für Obst und Gemüse auch heute kein Geld haben. Der größte Wunsch des 17-jährigen Jeevan ist es, dass "Papa genug verdient und wir nicht vom Jobcenter abhängig sind". Und dann dürfte auch endlich Mama aus Indien kommen, ergänzt der 19-jährige Pravin. Schwester Gita (15) lächelt hilflos.

"Arnut wurde 2006 von einem Vetter nach Deutschland geholt und hier regelrecht ausgebeutet", sagt Rolf Rau, der der Familie hilft. Über Agarwals Kochkünste hatten sich Restaurantgast Rau und der in Deutschland geduldete Inder kennengelernt. Und seitdem haben beide neben schlechten Erfahrungen mit unseriösen Arbeitgebern offensichtlich auch eine Bürokratie-Odyssee hinter sich. Seit Februar stünden lebensnotwenige Zahlungen des Jobcenters aus.

"Was da passiert, ist nachrichtlich unspektakulär. Es geht um kleine Summen für den Lebensunterhalt. Ich finde das aber menschenverachtend", empört sich Rau. Der Familie stünden in Monaten, in denen der Vater schlecht bezahlt arbeite, Zusatzleistungen von gut 300 Euro zu.

Wenn ihn ein Arbeitgeber um den Lohn prelle, wie kürzlich erneut geschehen, müsste das Jobcenter gut 700 Euro überweisen, rechnet Rau vor. Obwohl beide viele Stunden in den Fluren des Jobcenters gewartet hätten um vorzusprechen, sei nur ab und an ein "Kleckerbetrag" überwiesen worden.

Es wütet ein Papierkrieg. Rau und Agarwal zeigen einen dicken Aktenordner. Agarwal, der für August einen neuen Arbeitsvertrag hat, habe zwar immer die geforderten Belege beigebracht. Die seien dann aber entweder falsch abgelegt oder nicht sachgemäß bearbeitet worden, meint Rau. Kopien eines Belegs habe man dreimal ins Amt gebracht, bis es weiterging. Dann habe die Bearbeitung gestockt, weil Unterlagen eines Arbeitgebers eingereicht werden sollten, der sich aber ins Ausland abgesetzt hatte. "Der reinste Horror", sagt Rau. Sein Freund werde hingehalten, obwohl er in den vergangenen drei Jahren nur zwei Monate arbeitslos gewesen sei.

Am 10. Juni half Rau, einen Hilferuf an das Jobcenter aufzusetzen. Am 1. Juli kam die Antwort, die dem GA vorliegt: Der Kunde werde um Verständnis für die lange Wartezeit gebeten. "Da lebten wir nur von 538 Euro Kindergeld im Monat ", klagt der Vater. "Wir gehen nicht raus, laden keine Freunde ein. Damit die nicht sehen, dass wir kein Geld haben", sagt Pravin leise. Nach dem Hauptschulabschluss stecken die Brüder im Berufsgrundschuljahr. "Wir wollen später mal anders leben, freier", hoffen sie.

Das Jobcenter könne aus Gründen des Datenschutzes keine Angaben zu Fällen machen, sagt dessen Pressesprecher Markus Waschinski. Antworten seien deshalb "allgemein zu verstehen und nicht auf den Kundenfall zu münzen". Im Jobcenter Bonn sei allen Mitarbeitern bewusst, dass es für sehr viele Menschen existenziell sei, pünktlich das Geld zum Leben und für die Miete auf dem Konto zu haben. "Dabei gibt es unvermeidlich leider auch Fälle, bei denen sich die Bearbeitung von Leistungsanträgen verzögert oder zunächst nur Teilbeträge bewilligt werden können", so Waschinski - zum Beispiel wenn wichtige Unterlagen fehlen oder der Antrag mehrere Personen umfasse.

Wenn unglückliche Umstände aufeinanderträfen, könne es auch passieren, dass Sachbearbeiter und Kunde genervt reagierten. Das Jobcenter Bonn habe rund 13 500 Bedarfsgemeinschaften mit der doppelten Anzahl an Menschen zu betreuen. "Auch hier arbeiten nur Menschen - darunter allerdings sehr viele hoch engagiert, die sich selbst ins Leitbild geschrieben haben, zum Nutzen der betroffenen Menschen täglich besser werden zu wollen", sagt Waschinski.

Nach der GA-Anfrage bekamen die Agarwals die Nachricht, ein knapp vierstelliger Eurobetrag sei überwiesen worden, berichtete Rolf Rau. Doch nach der ersten Freude über die Auszahlung hätten sie den komplizierten Bescheid studiert - und erneut zahlreiche "fehlerhafte Angaben" entdeckt. Der auszuzahlende Betrag müsse korrekt doppelt so hoch sein, behauptet Rau. Einen Gesprächstermin hätten sie im Center nicht bekommen. Agarwal möge sich schriftlich äußern. Das entsprechende Einschreiben ging am Dienstag in die Post.

Tipps des Jobcenters

  • Kunden sollten Leistungsanträge, gerade auch Weiterbewilligungsanträge, so früh wie möglich einreichen und dafür sorgen, dass alle angeforderten Dokumente - vor allem Einkommensnachweise, Kindergeldbescheid, Lohnabrechnung - lückenlos vorliegen.
  • Dokumente sollten nur mit Nachweismöglichkeit ans Jobcenter versendet werden, etwa per Fax oder Mail mit Anhang. Der Absender möge beim Schriftverkehr immer seine BG-Kundennummer verwenden.
  • Unterlagen können auch am Empfang abgegeben werden. Auf einer vorgefertigten Liste könne man sich den Eingang quittieren lassen.
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