Salle Fischermann berichtet über seine Zeit im KZ "Hass kannst du nicht brauchen"

BONN · Wie kann man nach solchen Erlebnissen weiterleben? Wie kann man nur diese Kraft aufbringen? Die 230 jungen Leute im Alter zwischen 16 und 18 Jahren sind tief beeindruckt von den Erzählungen des 85-Jährigen, der da vor ihnen steht und mit fast distanziertem, ruhigen Duktus vom KZ Theresienstadt erzählt.

 Salle Fischermann beeindruckte die jungen Leuten beim Zeitzeugengespräch in der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Salle Fischermann beeindruckte die jungen Leuten beim Zeitzeugengespräch in der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Foto: Nicolas Ottersbach

Salle Fischermann war erst 13 Jahre alt, als er mit seiner Mutter und drei seiner sechs Geschwister aus Kopenhagen deportiert wurde. Anlässlich des gestrigen Holocaustgedenktages hatten das Forum Jugend und Politik der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Verein "Gegen Vergessen, Für Demokratie" zu dem Zeitzeugengespräch eingeladen.

Die SS-Schergen kamen mitten in der Nacht des 2. Oktober 1943. Und da sich die Familie nicht vorstellen konnte, dass die Nazis auch Kinder und Frauen verschleppen würden, flüchteten lediglich Salle Fischermanns Vater und einer der älteren Brüder. "Wir halfen ihnen, sich über den Balkon vom vierten in den zweiten Stock abzuseilen und von dort hinunterzuspringen", erinnert sich der 85-Jährige. Es war das letzte Mal, dass er die beiden sah. Sie ertranken später beim Versuch, übers Meer nach Schweden zu fliehen. Der damals 13-Jährige wurde mit seinen anderen Geschwistern und der Mutter noch in der Nacht zum Hafen gebracht. Die "Vaterland" brachte sie nach Deutschland, von dort ging es in Viehwaggons nach Theresienstadt, einem Übergangslager, das eigentlich Platz für 6000 Menschen bot, aber in dem ständig 60.000 Menschen ums Überleben kämpften. "Uns Dänen ging es noch vergleichsweise gut, weil wir Hilfspakete aus der Heimat erhielten", erzählt Fischermann. Denn die dänische Bevölkerung hielt, im Gegensatz zu anderen Ländern, zu ihren jüdischen Mitbürgern, versteckten sie oder unterstützten sie bei der Flucht, nicht selten auch mit viel Geld, um ihnen die Überfahrt ins freie Schweden zu ermöglichen.

Wie zynisch es in der deutschen Nazimaschinerie zuging, zeigte ein Propagandafilm über das KZ Theresienstadt, der im Mittelpunkt der gestrigen Diskussion stand. Als nämlich Vertreter der dänischen Regierung sowie des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes ankündigten, sich das Lager am 23. Juni 1944 anschauen zu wollen, wurde es zu einer "jüdischen Mustersiedlung" umgebaut. Daraus entstand ein Propagandafilm über das vermeintlich süße Leben, das die Juden angeblich in Theresienstadt verlebten, während die deutsche Bevölkerung unter den Folgen des Kriegs zu leiden hatte.

Regie führen musste der in ebenfalls inhaftierte Kurt Gerron, der nicht nur als Bühnenschauspieler berühmt war, sondern auch durch seine Mitwirkung in Filmen wie "Der blaue Engel" (1930) oder "Die Drei von der Tankstelle". Der Film zeigt ausgelassen turnende, spaziergehende Menschen, Frauen auf blühenden Wiesen, kräftige Handwerker, süße Kinder. Nach Drehschluss ging es für die Kinder und den Regisseur direkt in die Gaskammern von Auschwitz. Von den allein rund 15.000 Kindern, die nach Theresienstadt deportiert wurden, überlebten nur 150.

"Ich bin Optimist", erklärt Fischermann seine Überlebensstrategie. Und: "Behandle Andere so, wie du selbst behandelt werden willst. Das ist mein Glauben, meine Religion." Hass habe er nie empfunden. "Hass kannst du nicht brauchen. Du hast nur ein Leben, und da geht es drum, was du daraus machst. Und ich hatte ein gutes Leben."

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