Thema Inklusion Welche Erfahrungen die Gesamtschule Bonn-Beuel gemacht hat

BONN · Als 1985 die Integrierte Gesamtschule (IGS) Bonn-Beuel als eine der ersten weiterführenden Schulen bundesweit sogenannte integrative Lerngruppen einrichtete - von Inklusion sprach damals kaum jemand - war die Skepsis groß. Heute kann sich die Beueler Schule vor Anmeldungen nicht retten. "Wir sind ein Erfolgsmodell", sagt der Leitende Gesamtschuldirektor Stefan Ludwig nicht ohne Stolz.

Seine Schule startete zunächst mit nur einer integrativen Lerngruppe. Doch die von Anfang an große Nachfrage nach dem gemeinsamen Unterricht (GU) der Eltern von Kindern mit und ohne Behinderungen wuchs beständig. Inzwischen sind es drei Lerngruppen pro Jahrgang an der Gesamtschule Beuel.

"Es sind vor allem bildungsnahe Eltern, die ihre Kinder ohne Behinderung sehr gerne für die GU-Klasse anmelden", hat Ludwig beobachtet. Sie seien sich durchaus der Vorteile des gemeinsamen Lernens bewusst. "Glauben Sie mir, wir führen eigentlich einen ganz normalen Schulbetrieb wie alle anderen Schulen auch. Aber unsere Kinder und Jugendlichen haben den Vorteil, dass beide Seiten in sozialer und kognitiver Hinsicht voneinander profitieren und lernen können", sagt Ludwig. Hinzu kämen eine intensivere Betreuung durch Fachlehrer und Sonderpädagogen, geringere Disziplinprobleme, kleinere Klassen und eine familiärere Atmosphäre.

Derzeit lernen laut Ludwig mehr als 80 behinderte Kinder und Jugendliche an der Beueler IGS mit insgesamt 1360 Schülern. Die Behinderungen sind vielfältig: Sie reichen von körperlich-motorischen und geistigen Behinderungen bis hin zu Lern- sowie sozial-emotionalen Störungen. Bis zu sechs dieser Kinder sitzen mit 20 sogenannten Regelkindern in einer integrativen Lerngruppe.

Auch die Duisdorfer Rektorin Christa Hahn schwört auf die inklusive Schule. Obgleich ihre Schule, die Ludwig-Richter-Schule, erst seit diesem Jahr offiziell GU-Schule ist. Aber für Hahn ist Inklusion kein Neuland. "Ich habe schon immer gerne Kinder mit Behinderungen aufgenommen, wenn sie in der Nähe wohnten. Ich kann nur sagen, das tut beiden Seiten gut." So habe ein Mädchen mit Sprachstörungen erstaunlich schnell Fortschritte gemacht.

"Diesen Erfolg hätte sie in einer Förderschule, wo ja alle Kinder schlecht sprechen, nicht gehabt", ist Hahn sicher. Die anderen Schüler in der Klasse lernten wiederum mehr Rücksicht zu nehmen und Toleranz zu üben. "Inklusion fängt für mich nicht erst bei einer Behinderung an", sagt Hahn, "sondern auch schon da, wo Menschen aufgrund ihrer Herkunft einfach nur anders aussehen."

Inhaltlich sind sich also die beiden Pädagogen Hahn und Ludwig einig, dass inklusive Schule die Regelschule der Zukunft sein muss und Förderschulen nur noch für bestimmte Behinderungen benötigt würden. Aber: "Die Rahmenbedingungen müssen natürlich stimmen", betont der IGS-Leiter. Doch es gebe deutliche Anzeichen, dass sie sich mit dem neuen Gesetz verschlechtern werden. Vor allem in personeller Hinsicht.

"Das Erfolgsgeheimnis der integrativen Lerngruppen liegt aber in der Doppelbesetzung", sagt er, "das ist der Motor unserer Schulentwicklung". Heißt: Bisher unterrichten an seiner Schule vor allem in den unteren Jahrgängen in einer GU-Klasse immer zwei Fachkräfte - ein Lehrer und ein Sonderpädagoge. "Das halte ich für unabdingbar", macht er deutlich. Das sei nicht nur für die Schüler eine "win-win-Situation", sondern auch für die Lehrer.

"Die beiden sprechen jeden Tag über den Unterricht, eine bessere Fortbildung kann man sich nicht wünschen", so Ludwig. Doch nach derzeitigem Stand könne das feste Besetzungsschema nicht mehr aufrecht erhalten werden. Stattdessen solle es ein gewisses Kontingent an Sonderpädagogen geben, die je nach Bedarf an unterschiedlichen Schulen eingesetzt würden. Ein völlig falscher Weg, meint Ludwig.

"Ein Kind mit sozial-emotionaler Störung zum Beispiel benötigt feste Strukturen und klare Ansagen. Die ist heute gewährleistet, aber wohl nicht mehr in Zukunft", befürchtet er. Denn wenn die GU-Schulen jetzt flächendeckend ausgebaut würden, könne das Land die Doppelstrukturen nicht mehr finanzieren. Fatal sei auch, dass Kinder nicht mehr auf Lern- sowie sozial-emotionale Störungen getestet werden sollen, was ebenfalls einen schlechteren Personalschlüssel zur Folge haben werde. "Das macht mich erstmal ratlos", gibt Ludwig freimütig zu.

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