Ev. Frauenhilfe Oberkassel Positives geht leichter über die Lippen

OBERKASSEL · Der vielleicht wichtigste Satz an diesem Nachmittag fiel gleich zu Beginn. Die Evangelische Frauenhilfe Oberkassel sprach über das Thema Nachkriegszeit. "Wir sollten unseren Kindern und Enkeln darüber erzählen, weil es gut ist, das zu erzählen, was man selbst erlebt hat", sagte Renate Kistenbrügge.

 Das Gotteslob liegt für das Eingangslied vor den Teilnehmerinnen: Danach dreht sich beim Treffen der Evangelischen Frauenhilfe Oberkassel alles um das Thema Kriegserlebnisse und Nachkriegszeit.

Das Gotteslob liegt für das Eingangslied vor den Teilnehmerinnen: Danach dreht sich beim Treffen der Evangelischen Frauenhilfe Oberkassel alles um das Thema Kriegserlebnisse und Nachkriegszeit.

Foto: Max Malsch

Sie ist neben Monika Lawrenz eine der treibenden Kräfte in dem Frauenverbund, der sein Pendant in den Katholischen Frauengemeinschaften hat.

Die resolute Kistenbrügge fungierte sozusagen als Eisbrecherin. Die 74-Jährige erzählte, wie sie - 1942 in Hamburg ausgebombt - mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern nach Holstein geflüchtet war. "Wir sind in einem ehemaligen Landarbeiterhaus untergekommen, das wir im Winter selbst von außen mit Stroh gedämmt haben", so Kistenbrügge. Um den Hunger zu stillen, klauten die Kinder Kohlrabi und Rüben auf den Feldern. "Meine fromme, ostpreußische Großmutter, die später dazu kam, hat nie gefragt, woher die Speisen kamen."

Ein kleines Happy End bei vielen traurigen Kriegs- und Nachkriegserlebnissen trug eine 1939 in Braunschweig geborene Frau bei. Ihr russisches Kindermädchen, das sie und ihre beiden Geschwister sehr geliebt hatten, habe die Gestapo 1944 zum Einsatz in einem Munitionslager abgeholt. "Doch sie konnte flüchten und 1990 habe ich sie wiedergesehen."

Die positiven Erinnerungen fielen manchen leichter. So ließ eine gebürtige Gelsenkirchnerin für alle Revue passieren, dass sie zwar arm, aber glücklich waren. "Ich bin und war eine Hundenärrin und habe immer den Schäferhund auf dem nahe gelegenen Bauernhof besucht", sagte die heutige Oberkasselerin.

Das brachte noch einen netten Nebenaspekt mit sich: "Um 11.30 Uhr hat mich die Bäuerin zum Essen eingeladen, um 12 Uhr gab es zu Hause etwas." Als absurden Zustand empfand eine Frau, Jahrgang 1925, die Situation damals. Die Stettinerin arbeitete im Lazarett.

"Es ging einfach weiter, jeden Tag, wir lebten ja noch", beschrieb sie ihre Gedanken. Als regelrechtes Abenteuer erlebte eine damals kleine Duisburgerin die Kriegstage. "Zu den Leuchtbomben haben wir immer Christbäume gesagt", so die Frau, die als Zwölfjährige von der Kinderlandverschickung aus Böhmen zurück in ihre Heimat kam.

Über ihre Erfahrungen als "Arbeitsdienstmaid" berichtete eine 86-Jährige anschaulich. "Wir wurden ins heutige Polen geschickt, um den Ostwall zu schippen, der angeblich die russischen Panzer abhalten sollte", so die Seniorin. Als sie nach abenteuerlicher Flucht mit 18 zurück nach Wuppertal kam, war vieles anders: "Mein Vater war verschollen, meine Mutter zitterte immerzu, es gab keine Organisation, die uns half."

Denn jetzt, so gestand sie, hätten alle Angst vor den Repressalien der Besatzer gehabt. "Ich war groß, blond, blauäugig und Mitglied im Bund Deutscher Mädel", umriss sie, was sie in den Augen der Sieger zur Nationalsozialistin machte. Vor der gefürchteten Entnazifizierung flüchtete sie auf Geheiß ihrer Mutter aufs Land.

Die Angst sei ein ständiger Mitläufer gewesen, ließ sich eine Frau aus Oberschlesien entlocken. "Aber die Angst blieb eher im Hintergrund." Dass die Geschichten der Frauen dagegen an die Oberfläche gehören, hat dieser Nachmittag in Oberkassel eindrucksvoll bewiesen.

Info: Die Evangelische Frauenhilfe Oberkassel trifft sich alle zwei Wochen jeweils donnerstags um 15 Uhr in der Kinkelstraße 7. Das nächste Treffen findet statt am 24. Oktober und dreht sich um Erzählungen von einer Israel-Reise. Gäste sind willkommen.

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