Spinnkreis Bonn/Köln Von der Schafswolle zum Faden

NIEDERHOLTORF · Fragt man Dagmar Weber (41), was sie in ihrer Freizeit macht, sagt sie: "Ich drehe am Rad." Und zwar an einem Spinnrad, gemeinsam mit 20 weiteren Frauen jeden Alters, die am Samstag im Pfarrheim St. Antonius in Niederholtorf gemeinsam in die Pedale traten.

 An den Spinnrädern: Die Handspinngilde macht im Niederholtorfer Pfarrheim aus Wolle Fäden.

An den Spinnrädern: Die Handspinngilde macht im Niederholtorfer Pfarrheim aus Wolle Fäden.

Foto: Max Malsch

Sie sind der Spinnkreis Bonn/Köln, erweitert um einige wollinfizierte Handarbeiterinnen des Vereins Handspinngilde, die sich alle vier Wochen treffen, um jede Faser, die sich nicht wehrt, zu einem Faden zu verspinnen; Schafspelz, Ziegenwolle, Hundefell und sogar auch mal ein Regenschirm kommen dabei unter die Spindel.

Es ist ein Anblick wie im Märchen, kennt man doch Spinnräder meist nur im Zusammenhang mit Dornröschen. Dornröschen aber hat sich an einer Spindel gestochen, klärt Weber auf. Und überhaupt spinnen Menschen schon seit der Steinzeit, nur sei dieses Wissen heute in Vergessenheit geraten. "Spinnen ist eine Kulturtechnik, die man bewahren muss", so Rita Schappert (51), die Vorsitzende der Handspinngilde.

Für sie und die anderen ist es ein ganz besonderes Erlebnis, dass sie mit eigenen Händen aus Schafen Pullover machen können, was jedoch viel Arbeit bedeutet. Mindestens 30 Stunden dauert es, ein Schaf zu scheren, die Wolle zu waschen, zu kämmen, zu spinnen, zu färben und dann zu verstricken. "Manchmal fragen mich die Leute, warum ich Garn nicht einfach kaufe. Ich frage sie dann: "Warum fliegst du in die Dominikanische Republik? Schau dir doch ein Video an", sagt Weber und lacht.

Sie und die anderen Frauen wissen, was es bedeutet, wenn der "Geduldsfaden reißt", aber Spinnen ist ihnen so zum Bedürfnis geworden, dass nur die wenigsten unter ihnen sonntags den "Tatort" schauen können ohne Spindel in der Hand. So hat Weber hat für alle Fälle "Staustrickzeug" im Auto und ein Reisespinnrad speziell für Dienstreisen.

"Die meisten von uns besitzen drei bis sechs Spindeln", erklärt sie, "und die Spinnräder unterscheiden sich wie Lamborghini und Trucker". In jedem Fall: "Die ersten Fäden sehen aus wie schwangere Regenwürmer", doch die Frauen sind sich einig: Spinnen lernt man schnell.

In fröhlicher Runde bevölkerten sie am Sonntag den Gemeinderaum und füllten ihn mit entspannter Geschäftigkeit und angeregtem Gespräch, um ihr Wissen auszutauschen, sich gegenseitig zu helfen und einfach ein wenig zu plaudern.

Es fühlt sich an wie eine Zeitreise, als romantische Märchensammler ebensolchen Frauen am Spinnrad Geschichten ablauschten, doch diese Spinnerinnen sind modern, sind beruflich unterwegs, sind am Flughafen zu Hause. Und wenn sie in der Wartehalle sitzen, die Spindel auspacken und die eigenen Schafe verhäkeln, sind sie der ruhende Pol unter allen Managern.

Handspinngilde e.V. freut sich über neue Mitglieder; Interessenten wenden sich an rita.schappert@t-online.de.

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