Kirchturm von Sankt Joseph Warum die Geislarer Glocke in Vilich läutet

BEUEL · Die Marienglocke blieb vor 70 Jahren als Kanonenfutter verschont und machte später Stahlglocken Platz

 Einmal im Jahr klettern Petra Gläser und Peter-Josef Müller auf den Geislarer Kirchturm von Sankt Joseph, um dort von Hand eine Melodie auf dem Geläut zu spielen.

Einmal im Jahr klettern Petra Gläser und Peter-Josef Müller auf den Geislarer Kirchturm von Sankt Joseph, um dort von Hand eine Melodie auf dem Geläut zu spielen.

Foto: Horst Müller

Es ist die Abendglocke, die manchen Geislarer schmunzeln lässt. In Cis läutet die Marienglocke vom Kirchturm Sankt Peter aus der Nachbargemeinde Vilich herüber. Einst rief sie von der Kirchturmspitze Sankt Joseph in Geislar zum Gebet. Die Bombenangriffe der Alliierten vor 70 Jahren auf Bonn trafen auch die Kirchen. Die Vilicher Pfarrkirche Sankt Peter wurde am 18. Oktober 1944 so schwer zerstört, dass kaum mehr als eine Ruine übrig blieb.

Die Geislarer hatten Glück: Im Vergleich zu den Nachbarn hatten sie nur kleinere Schäden an Sankt Joseph zu beklagen. Vor allem hatten die Geislarer noch einen Kirchturm und wenigstens noch eine Glocke. Das erst 1930 angeschaffte Drei-Glocken-Geläut aus Messing (Gis, H, Cis), die Josephsglocke, die Petrusglocke und die kleine Marienglocke, war allerdings schon seit dem 16. und 17. Januar 1942 nicht mehr vollständig.

"Die beiden größeren waren von den Nazis beschlagnahmt worden und wurden als Kanonenfutter eingeschmolzen", erzählt Peter-Josef Müller, der sich mit der Kirchen- und Glockengeschichte von Sankt Joseph beschäftigt hat. Der Senior klettert jedes Jahr einmal auf den Kirchturm, um mit Petra Gläser und Günter Paffhausen zu beiern. Bei dieser alten Tradition werden die Klöppel der Glocken festgebunden und von Hand eine Melodie gespielt.

Warum die Nazis den Geislarern ihre Marienglocke ließen, erklärt sich Pfarrer Michael Dörr so: Die Geislarer sollten noch zur Messe läuten können. Als nach Kriegsende Wiederaufbau geleistet wurde, ergriff das Bistum Köln schon 1946 die Initiative. Die Kirchen sollten aufgebaut und die Glocken bald wieder vollständig läuten, erzählt Müller. Für Geislar wurde der Kontakt mit einem Stahlwerk in Bochum hergestellt. Die Arbeiter dort hatten nach dem Kriege nichts zu tun, aber großen Hunger.

"Als Landgemeinde verfügte man über Nahrungsmittel mit Speck, Kartoffeln und Butter, mit der die neuen Glocken bezahlt werden sollten." Wie viele Zentner im Mai 1947 auf den Lkw geladen wurden, hat Müller in der Kirchenchronik nicht gefunden. Wohl aber, dass, der Laster mit den Glocken abends in Geislar eintraf. Unter dem Jubel der Einwohner drehte er bis 23 Uhr Ehrenrunden durch das Dorf, bevor die Geislarer anpackten und die Glocken entluden.

Fünf Tage lang dauerte es, bis die Geislarer ohne Hilfe die neuen Glocken im Turm hatten. Dabei hatte die größte, die 1150-Kilogramm schwere Josephsglocke, noch nicht einmal durch den Glockenturmschacht gepasst, sondern musste von außen durch eine Maueröffnung in den Turm gehievt werden. "Die Stelle im Turm, die dafür aufgemacht worden ist, kann man heute noch erkennen", so Gläser.

Die Stahlglocken sind etwas Besonderes, denn gewöhnlich werden Kirchenglocken aus Messing gefertigt. Die neuen Geislarer Glocken (E, Gis, H, Cis) sind den Heiligen Joseph, Michael, Petrus und Maria gewidmet. Heute noch hängen die Stahlglocken im Turm. "Nur in Bergheim gibt es das noch", sagt Dörr. Klangliche Nachteile haben die Glocken nicht. Im Gegenteil. Der Pfarrer schwärmt für das Geislarer Geläut: "Die Glocken haben einen vollen und satten Klang. Jedes Mal, wenn das volle Geläut ertönt, klingt das so festlich, dass einem das Herz aufgeht."

Petra Gläser mag auch das Vilicher Geläut, vor allem die Abendglocke. Als die Geislarer 1947 ihre verwaiste Messingglocke "Maria" abbauen mussten - Messing harmoniert nicht mit Stahl -, überließen die Geislarer diese zunächst leihweise den Vilichern, die seit 1944 gar keine Glocke mehr hatten. "Die Glocke wurde in einen kleinen Glockenstuhl auf dem Hof des Adelheidisstiftes gehängt, wo auch die Notkirche war", erzählt Müller. 1953 kauften die Vilicher die Glocke den Geislarern schließlich ab. Heute hängt sie mit drei anderen Messing-Glocken in der 1957 wieder aufgebauten Kirche Sankt Peter und ist vor allem beim Abendgeläut zu hören.

Auch das Vilicher Glockengeläut gilt als einzigartig, weil dessen Glocken aus verschiedener Herkunft zusammengestellt wurden. Dörr: "Deshalb finde ich das Geislarer Geläut harmonischer, weil die Glocken eben aufeinander abgestimmt wurden."

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