Familie Schmitz aus Geislar "Keiner gibt sein Kind freiwillig her"

GEISLAR · "Kein Mensch in Deutschland gibt freiwillig sein Kind her, das machen wir auch nicht", sagte Werner Schmitz. Am Montag hat er Fakten geschaffen und seine Tochter "in Sicherheit gebracht, da wo sie keiner findet". Es ging um seine Tochter Vanessa. Vanessa ist elf Jahre alt, eines von 14 Kindern der Familie Schmitz aus Geislar. Am Montag ist sie von der Schule getürmt und allein nach Geislar gelaufen. Sie wollte nicht wieder zurück ins Heim.

 Nur die halbe Mannschaft: Sieben der 14 Kinder von Gertrud Schmitz, hier noch mit mit Vanessa (2.v.r.), die inzwischen "in Sicherheit gebracht" worden ist.

Nur die halbe Mannschaft: Sieben der 14 Kinder von Gertrud Schmitz, hier noch mit mit Vanessa (2.v.r.), die inzwischen "in Sicherheit gebracht" worden ist.

Foto: Malsch

In einem solchen ist sie nämlich per Gerichtsanordnung seit dem 14. Dezember untergebracht, und zwar in Königswinter. Der Grund: Ihre Eltern Gertrud und Werner sorgen nicht richtig für sie, so das Urteil. Auch Vanessa selbst hatte gegenüber Gutachtern erklärt, sie wolle nicht länger zu Hause, sondern lieber freiwillig in einem Heim wohnen. "Mein Bruder hat mich immer gezankt", sagte sie am Montag, als sie zu Hause bei ihrer Mutter und den Geschwistern auf der Couch saß.

Krisensitzung bei den Schmitzens. Die 38-jährige Mutter gibt zu, mit der Situation überfordert zu sein: "Vanessa will nicht mehr ins Heim, aber das Jugendamt und das Gericht sagen, sie muss. Was soll ich denn jetzt tun?" Erst einmal auf den Ehemann Werner warten, bis er von der Arbeit kommt. Das Thema ist nicht neu, seit vier Jahren steht es immer wieder an ( der GA berichtete).

Die Stimmung im Wohnzimmer ist nervenaufreibend. Ständig kreisen die Gespräche der größeren Kinder um die drohende Heimunterbringung auch der übrigen Geschwister. Der knapp einjährige Justin, sein zweijähriger Bruder Dustin und der drei Jahre alte Marwin können noch nicht sagen, was sie wollen. Doch die älteren, verstehen: Markus (12), Corinna und Marcel (4), Nadine (10) und Sabrina (11).

Die älteste Tochter Susanne ist 18 Jahre alt, dann gibt es noch einen 23-jährigen Sohn, der schon alleine lebt. Zwei weitere Kinder, Kevin (7) und Dennis (8), leben bereits in Heimen, einer in Ippendorf, einer in Bad Godesberg. Immer enger wird es auf der Couch, immer mehr Kinder kommen heim, zurück aus Tagesgruppen, wo sie gefördert werden, um ihre Defizite auszugleichen.

Die meisten gehen auf die Sonderschule. "Andreas könnte auf die Hauptschule, aber er hat Angst, dann nicht mitzukommen", verteidigt sich Gertrud Schmitz. Kein Zweifel, sie kämpft um ihre Kinder. "Ich bin selbst in einem Heim aufgewachsen, da sollen meine Kinder nicht."

Die Vorwürfe des Jugendamtes, sie kümmerte sich nicht genug um ihre Kinder, lässt sie nicht gelten. "Wir tun doch inzwischen alles, was sie von uns verlangen, trotzdem nehmen sie uns die Kinder weg." Nur mit der Auflage, ein größeres Haus zu finden, habe es nicht geklappt. "Wir brauchen 200 Quadratmeter, aber wir finden nichts", sagt sie. Meistens würden sie wegen der vielen Kinder abgelehnt. Dass es viel zu eng im 124-Quadratmeter großen Reihenhaus in Geislar ist, sieht sie ein. Die Kinder teilen sich teilweise zu viert ein Zimmer, allein im Elternzimmer schlafen drei der Kinder.

Dann ruft das Jugendamt an und spricht mit Vanessa. Man könne über alles in Ruhe reden, sie soll wieder zurück kommen. Kurze Zeit später ist dann der zuständige Richter am Telefon und erklärt, Vanessa müsse in jedem Fall zurück. Doch die will nicht: "Nichts ist im Heim besser."

Um 5 Uhr morgens beginnt bei Schmitzens der Tag. Dann werden die beiden Kindergartenkinder geduscht und angezogen - bis das Taxi sie abholt. Bis 8.15 Uhr sind alle bis auf die drei Kleinen aus dem Haus. Bei der Hausarbeit erhält Frau Schmitz Hilfe. "Vier Stunden täglich kommt eine Frau."

Auch bei der Kindererziehung werden sie von zwei Sozialpädagogen unterstützt. Insgesamt 22 Stunden pro Woche helfen sie beim Familienalltag: Spazieren gehen, Basteln, Hausaufgaben und Spielen. Samstags wird eingekauft, mit zwei Fahrzeugen: Drei volle Einkaufswagen verbraucht die Familie wöchentlich. Dazu kommt einmal im Monat ein halbes Schwein.

Im April steht ein erneutes Gerichtsverfahren an, dann soll über alle Kinder entschieden werden. Im Fall Vanessa sind wohl die Behörden gezwungen, nun aktiv zu werden. Das Jugendamt war am Montag zu keiner Stellungnahme bereit.

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