Halle Beuel "Mathilde Bäumler. Ein Dschungelstück" zeigte, dass im Theater alles möglich ist

BEUEL · Mathilde Bäumler", findet der "Mathilde"-Dramaturg Ingo Piess, "ist ein sehr selbstreferenzielles, selbstreflexives Stück, was auch seine eigene Stückhaftigkeit mitdenkt sowie auch die verschiedenen Ebenen von Wirklichkeit und Darstellung." Nach solchen Sätzen muss man sich erst einmal schütteln. Und Entwarnung geben.

 Zwischen zarter Poesie und Hysterie: Birte Schrein (Mitte) in der Titelrolle von "Mathilde Bäumler" in der Halle Beuel.

Zwischen zarter Poesie und Hysterie: Birte Schrein (Mitte) in der Titelrolle von "Mathilde Bäumler" in der Halle Beuel.

Foto: Thilo Beu

"Mathilde Bäumler. Ein Dschungelstück" in der Halle Beuel ist keine anstrengende Kopfgeburt, sondern ein sehr lebendiges, unterhaltsames, manchmal anrührendes Stück Theater.

"Mathilde", Untertitel: Das Stück zum Film zum Buch, basiert auf einer Idee und viel Improvisation; ein Dschungel-Buch gab es zu Beginn der Proben nicht. Alexander Riemenschneider, Regisseur des fabelhaften Bonner "Kaspar", und Christa Pfafferott erzählen zusammen mit dem Ensemble eine einfach komplizierte Geschichte. Ein Filmteam reist in den mutmaßlich brasilianischen Urwald und stellt mit Schauspielern die Geschichte der - fiktiven - Mathilde Bäumler nach. Sie kam einst mit ihren Eltern in den Dschungel, wuchs dort auf, verliebte sich, wurde schwanger und verlor den Mann, einen Angehörigen der Kajamaly, durch eine Gewalttat.

Die Eltern studierten die Sprache und Gebräuche des Stammes, lebten nach dessen Werten und trennten sich von der Tochter, die für die Tugend der Vergebung warb, mit der die Kajamaly als geborene Jäger nicht viel anfangen konnten. Mathilde schrieb ihre Erfahrungen später in einem Buch auf und wirkt nun beim Filmprojekt als Beraterin und Bindeglied zwischen Europäern und dem einen sichtbaren Ureinwohner mit.

Rimma Starodubzevas Bühne ist ein schicker Dschungel, in dessen Grün die Darsteller immer wieder verschwinden. Zu Beginn trifft eine blonde Frau auf einen dunkelbraunen Mann, die Köpfe berühren sich, dann die Hände. Liebe funktioniert auch in Zeichensprache. Riemenschneider und Pfafferott, verantwortlich für Inszenierung und Konzeption, gehen es komödiantisch an. Die Schauspieler singen (Musik: Tobias Vethake) und erzählen, agieren miteinander und stellen sich in einer Reihe vor dem Publikum auf.

Zu einer krisenhaften Situation kommt es, als ein tierischer Komparse, ein Nasenbärbaby, stirbt. Es stammte aus dem Zoo Hannover und war womöglich an Heimweh eingegangen, mutmaßt der von Konstantin Lindhorst dargestellte Produzent. Lindhorsts Figur durchlebt ein mittleres Martyrium, das ist bewegend und herrlich absurd zugleich.

Tolle Szenen hat auch Nikolai Plath als Filmregisseur: einer, der sich die Welt nach seinen Vorstellungen formt. Die Produktion will zeigen, was Theater kann, wie es entsteht und wie es durch ein Ensemble zum Leben erweckt wird. Und ja, da hat Dramaturg Piess recht, das vollzieht sich in den gut 90 Minuten in der Halle Beuel auf mehreren Ebenen. Sie spielen die Begegnung zwischen Europa und dem Fremden humorvoll aus, aber auch ernsthaft. Mit denselben Mitteln erzählen sie die Geschichte einer merkwürdigen Familie und ihres Zerfalls sowie die Lovestory Mathildes. Und sie erzählen von der Macht des Dschungels.

Birte Schrein ist Mathilde, Anastasia Gubareva verkörpert ihr jüngeres Alter Ego. Man kann Gubareva als kindlicher Mathilde dabei zuschauen, wie ihre Identität sich allmählich auflöst, sie verliert sich in ihrer Rolle: Berufsrisiko des Schauspielers. Birte Schrein zeigt die ganze Bandbreite zwischen zarter Poesie und tragödienhafter Hysterie. Es wird auf der Bühne im Verlauf des Abends immer surrealer, die Darsteller erscheinen wie Zombies, am Ende wie Dschungeltiere. Im Theater ist alles möglich. Die offene Form ist der Motor der Produktion, sie ist aber auch ein Bremser, denn ganz warm wird man mit diesen sich stetig wandelnden Personen nicht. Doch der Spaß, den die Schauspieler mit "Mathilde" hatten, überträgt sich aufs Publikum. Mit dem Schlussapplaus dankte es am Premierenabend Anastasia Gubareva, Dagmar Hoffmann, Tatjana Pasztor, Birte Schrein, Birger Frehse, Konstantin Lindhorst, Malik Kpekpassi, Nikolai Plath, Hendrik Richter und Tobias Vethake.

Die nächsten Aufführungen: 28. und 31. März, 14., 18., 22. und 28. April. Karten: in den Bonnticket-Shops in den Zweigstellen des General-Anzeigers und bei bonnticket.de

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