Ein Streifzug durch die Beueler Nähszene Nähen für das eigene Seelenheil

BEUEL · Ein Streifzug durch die Beueler Nähszene. Als beruhigend, kreativ und gesellig wird das Hobby beschrieben

 Bettina (von links), Ute, Edeltraud, Dorothee und Brigitte schneidern im Atelier von Designerin Astrid Tomkowitz.

Bettina (von links), Ute, Edeltraud, Dorothee und Brigitte schneidern im Atelier von Designerin Astrid Tomkowitz.

Foto: Max Malsch

Nadel und Garn liegen bereit. Jetzt muss der Faden nur noch durch das Öhr. Wer es mit zittriger Hand geschafft hat, der widmet sich als Laie eher Herausforderungen wie "Knopf annähen". Was die Teilnehmer der Nähkurse in Beuel teils an der Maschine kreieren, bewegt sich auf ganz anderem Niveau. Da werden die letzten Feinheiten am neuen Wintermantel mit aufgesetzten Taschen und Gürtel abgesteckt oder am detailgetreuen Kostüm aus dem Lieblingstrickfilm gefeilt. Der Streifzug durch die rechtsrheinische Nähszene hat eins gezeigt: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt - den Profis zum Dank.

Christina Bleffert runzelt die Stirn. "Muss ich den Gürtel wegen dem Muster schräg anbringen oder gerade?", fragt die Juristin im Nähkurs von Gewandmeisterin Jutta Bauer-Neuhalfen. Blefferts aktuelles Projekt, ein Wintermantel aus kariertem Designerstoff, steht kurz vor der Vollendung.

Der Stoff ist in Form geschnitten, das Innenfutter angebracht und Gürtel sowie Ärmel zusammengenäht. Jetzt gilt es, die Einzelteile zu vereinen. Der elegante Mantel der 28-Jährigen präsentiert das Nähhandwerk in einem trendigen Licht. Mittlerweile gibt es modische Schnitte zu Damen-, Kinder- und Herrenbekleidung, die aus den aktuellen Kollektionen der Kaufhäuser stammen könnten. Der Trend zum kreativen Handwerk erlebt seit Jahren deutlich Aufwind: Allein 2013 verbuchte die Näh-, Strick- und Häkelbranche einen Zuwachs von 13 Prozent und stieg auf einen Umsatz von 1,35 Milliarden Euro. Gespannt erwartet die Branche die Zahlen aus dem vergangenen Jahr, die im März erscheinen.

Grundsätzlich sei das Hobby für jedermann geeignet, meint Jutta Bauer-Neuhalfen von der Werkstatt "Kleidermacher" und bestätigt die Heterogenität ihrer Kunden: "Von der Mathematikerin über die Krankenschwester bis hin zum Rentner waren in meinen Kursen bisher alle möglichen Berufe und Altersklassen vertreten. Viele nutzen das Nähen als Ausgleich zum Alltag." Beruhigend, kreativ und gesellig. So beschreiben die Teilnehmer ihre Leidenschaft.

Bei einer Tasse Kaffee am Vormittag wird neben dem Abstecken der neuen Bluse munter geplauscht oder am Abend über das Tagesgeschehen gesprochen. Aber auch der Blick auf die Bekleidungsindustrie hat sich bei einigen verändert. "Ich bin viel kritischer geworden, wenn ich einkaufen gehe. Es ist eine Schande, wie wenig Bekleidung heutzutage kostet", sagt Hausfrau Gesine Berg, die vor allem das Upcycling begeistert. Hierbei entsteht aus Stoffresten und ausrangierter Kleidung neue Mode.

Aus dem alten Mantel ihrer Mutter schneiderte sich Berg kürzlich einen Rock. Das Hochzeitshemd ihres Mannes trägt die 56-Jährige als Tunika. "Es macht mir Spaß, Stoffe zu verarbeiten, die eine Geschichte haben", erklärt Berg. "Man schöpft aus dem, was man hat, und das gibt mir ein Stück Seelenheil." Dass dabei nicht immer alles klappt, eine Hose zu eng oder ein Ärmel zu kurz gerät, stört hier niemanden - auch wenn der Verschnitt teuer werden kann.

Für einen Mantel in Größe 36/38 werden etwa drei Meter Stoff benötigt. Bei einem Meterpreis von 40 Euro für Designerwolle liegen die Kosten bei 120 Euro. Zubehör wie Knöpfe und Futter nicht inbegriffen. "Gute Stoffe wie Wolle oder Seide sind nun mal etwas teurer", weiß Bergs Nähfreundin Dorothee Prasser. "Dafür trage ich qualitativ hochwertige und individuelle Bekleidung und ich habe gelernt, das Handwerk der Schneiderin mehr zu schätzen."

Ein Beruf, den Designerin Astrid Tomkowitz zwar leidenschaftlich gern auslebt, aber auch kritisch beurteilt: "Es ist schwierig geworden, davon leben zu können." Die gelernte Maßschneiderin bietet in ihrem Ausbildungsbetrieb Amano eigene Kreationen und gibt ihr Wissen an den Nachwuchs weiter. "Viele Menschen arbeiten in Berufen, in denen sie nichts produzieren. Dabei braucht der Mensch die praktische Arbeit mit den Händen", findet Tomkowitz.

Den Spaß an der eigenen Haptik scheint die Beueler Jugend zunehmend für sich zu entdecken. Im Stoffgeschäft Dirk Molly gibt es sogar einen Kurs für Jugendliche ab zwölf Jahren. Bei den Erwachsenen heißt es momentan jedoch: Möglichst schnell in die Warteliste eintragen. Die Schülerin Kamala Weingarten hat den Sprung in vier Nähkurse geschafft und denkt auf jeden Fall nicht ans Aufhören. Ihre Leidenschaft für japanische Anime inspiriert sie immer wieder zu neuen Kostümen aus den Zeichentrickfilmen. "Man hat den Dreh schnell raus, man muss nur geduldig sein", sagt die Schülerin gelassen.

Nähkurse

Die Nähkurse für Anfänger und Fortgeschrittene finden an Werktagen vormittags, mittags und abends statt. Zudem bietet Amano Workshops am Wochenende an, die Termine hängen im Geschäft aus. Weitere Informationen gibt es unter www.amano-bonn.de (Beuel-Mitte), www.geenium.de (Oberkassel), www.dirkmolly.de (Pützchen). Alle Kurse werden unter professioneller Anleitung durchgeführt und kosten pro Kurs (vier bis sechs Termine) zwischen 69,90 und 120 Euro. Eine Grundausstattung wie Nadeln, Maßband, Kreide, Schere und Kopierrädchen mit -papier sollten vorhanden sein. Eine eigene Nähmaschine ist von Vorteil, aber kein Muss

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