Ehemaliges Asyl für Geisteskranke zu Pützchen Kloster, Gefängnis und Heilanstalt

PÜTZCHEN · Wenn heute die Kinder auf dem Gelände des "Wohnprojektes Karmelkloster" mit ihren Bobbycars durch den Garten sausen, denkt wohl kaum jemand mehr daran, dass es dort einmal eine psychiatrische Heilanstalt gab. 1866 wurde das "Asyl für Geisteskranke zu Pützchen bei Bonn" eröffnet. Ein interessanter Aspekt und Grund genug für die Psychotherapeutin Jutta Beckerle, die auf dem Gelände wohnt, darüber im Gemeinschaftsraum der Wohnanlage zu referieren.

 Psychotherapeutin Jutta Beckerle interessiert die ehemalige Heilanstalt, in der psychisch Kranke lebten, auch von berufswegen.

Psychotherapeutin Jutta Beckerle interessiert die ehemalige Heilanstalt, in der psychisch Kranke lebten, auch von berufswegen.

Foto: Barbara Frommann

Heute teilt eine Mauer das Areal: Auf der einen Seite liegt die Wohnanlage, auf der anderen das Gelände des Sacré-Coeur-Ordens mit dem Sankt-Adelheid-Gymnasium, einem Kindergarten, dem Pflegeheim für die Schwestern, einer moderner Kapelle und einigen gewerblich genutzten Gebäuden.

Bis 1920 befand sich auf den beiden Teilen des Areals eine Heilanstalt für psychisch Erkrankte: "So würden wir das heute nennen", stellt Beckerle ihrem Vortrag voran. "Irrenanstalt" war während der langen Jahre ihres Bestehens allerdings der weitaus geläufigere Begriff.

Begonnen hatte alles mit der Säkularisierung des Rheinlandes im Jahr 1803: Die Karmelitermönche mussten das Kloster verlassen, und der preußische Staat übernahm den Besitz. Nach einem kurzen Intermezzo - der durch die Alaun-Produktion reich gewordene Unternehmer Leopold Bleibtreu nutzte das Gelände - kaufte der preußische Staat das Areal 1844 zurück und errichtete eine "Detentionsanstalt für verkommene Weibspersonen", also ein Frauengefängnis.

Nur drei Jahre später eröffnete dann Leopold Besser das Asyl für Geisteskranke in den Räumen des ehemaligen Karmeliterklosters.

Zuvor war Besser - wie viele Bonner Psychiater - drei Jahre lang in der "Irrenanstalt" in Siegburg beschäftigt. Seine Einrichtung sollte eine Alternative werden zu den öffentlichen den "Anstalten für die höheren Stände", die nicht alle bezahlen konnten. Eine Anstalt für den Mittelstand. "Der Irrsinnige gehört auf der Höhe seiner Krankheit dem Arzte, nicht der Kirche, nicht dem geltenden Recht und nicht der gesellschaftlichen Sitte", zitierte Beckerle den Gründer. "Eine mutige Aussage zur damaligen Zeit."

Auch die parkähnlich gestaltete Umgebung bot einen deutlichen Kontrast zu den noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts existierenden Verwahrungen in eher menschenunwürdigen Unterkünften wie den Bogengängen der alten Bonner Stadtmauer. Der Wunsch und die Vorstellung der Ärzte war es, psychische Erkrankungen zu heilen, nicht die Betroffenen nur zu verwahren. 1887 explodierte ein Kessel in der Küche, und bei dem Feuer brannten das Anstaltsgebäude, die Wahlfahrtskirche und alle weiteren Gebäude bis auf die Grundmauern nieder. Die Patienten konnten unverletzt in Sicherheit gebracht werden.

Nach dem Wiederaufbau verkaufte Besser das Anwesen an Clemens Gudden, den Sohn des Leibarztes von König Ludwig II. von Bayern, der mit dem König im Starnberger See ertrunken war. Gudden erweiterte das Gelände zu einer modernen Heilanstalt, die er 1904 an seinen Kollegen Alfred Peipers übergab. Peipers, der dort bereits als Arzt arbeitete, beauftragte den renommierten Architekten Bruno Paul zur Erweiterung der Parkanlagen mit verschiedenen aufeinander abgestimmten Gebäuden. Dort sollten Erkrankte die Möglichkeit haben, in angenehmer Umgebung wieder zu genesen.

1920 schließlich wurde die Anstalt an den Sacré-Coeur-Orden veräußert, der wiederum den alten Klosterteil 1926 an den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen zu Köln verkaufte. Seitdem teilt eine Mauer das Areal, und auf dem Gelände des Karmelklosters entstand 1998 das Wohnprojekt. Heute leben dort mehr als 100 Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen.

Gemeinschaft

Der Bewohnerverein organisiert regelmäßig Veranstaltungen zur Gestaltung des Gemeinschaftslebens und engagiert sich unter anderem mit vielfältigen Kulturangeboten im Gemeinschaftsraum. Die meisten Veranstaltungen stehen jedermann offen und bieten Raum für den konstruktiven Meinungsaustausch. Weitere Infos und das Programm auf www.gemeinsam-wohnen-im-karmel.de.

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