Missbrauch an Schulen "Nicht nur das Aloisiuskolleg hat versagt"

BONN · Missbrauchsaufklärer Professor Arnfried Bintig hat den Bonner Lokalpolitikern, der Verwaltung und dem Bonner Umfeld des von Taten betroffenen Aloisiuskollegs (Ako) gründlich die Leviten gelesen. Im Schulausschuss fasste der Psychologe nicht nur die Ergebnisse seines Anfang 2013 veröffentlichten Abschlussberichts über Grenzverletzungen am Ako-pro-Seminar zusammen, den das Ako in Auftrag gegeben hatte.

"Nicht nur das Ako als Träger von Ako-pro hat von der Leitungsseite her versagt und ebenso wie der Jesuitenorden keine Kontrolle über den ehemaligen Vereinsvorsitzenden ausgeübt", sagte Bintig. Auch die Stadt als Aufsichtsorgan und Geldgeber habe auf das Handeln des Mannes, der des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, nicht geachtet. "Er war über Jahre geachtetes Mitglied im Jugendhilfeausschuss."

Bintig verwies auf ein Schreiben, in dem die Verwaltung dem Mann, gegen den seit Februar 2010 ermittelt wurde, am 29. September 2010 einen "Persilschein" ausgestellt habe. "Darin teilte die Stadt dem Ako mit, dass es nach ihrer Erkenntnis keine Unregelmäßigkeiten beim Ako-pro gegeben habe", erklärte Bintig. Dabei habe der Mann seit Jahren in seinem Arbeitsbereich "Machtinseln" errichtet, in denen er tun konnte, was er wollte - was auch die laufenden Ermittlungen in Sachen Finanzgebaren des Beschuldigten der Stadtverwaltung gegenüber bestätigten.

Es sei von 2010 bis 2012 zu vier Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs gekommen, die jedoch wegen Verjährung hätten eingestellt werden müssen. Dabei sei der Mann eng mit der Jugendhilfearbeit der Stadt verwoben gewesen, habe sogar deren Auslandsreisen mitgemacht. "Und in hohen Vereinsämtern bei Ako-pro saßen prominente Bonner Bürger, die auch nicht hinschauten." Der Ex-Vorsitzende soll sich seit Monaten im Ausland aufhalten.

Der Ausschuss reagierte bestürzt. Parteiübergreifend wurde Entsetzen geäußert, dass ein Einzelner innerhalb der Jugendhilfe ein "Machtmonopol" habe aufbauen können und "dass auch bei uns keiner den Fokus auf die Opfer hatte", wie die Vorsitzende Dorothee Paß-Weingartz zugab.

Auf ihr Betreiben war Bintig eingeladen worden. Auch er habe den Aufklärungsbericht aufmerksam gelesen, empfinde aber großen Unmut über die "Unterstellung" Bintigs, Mitarbeiter des Jugendamts seien in die Thematik verwickelt gewesen, äußerte Jugendamtsleiter Udo Stein. "Dafür gibt es keine belastbaren Beweise." Die Verwaltung könne die Träger der freien Jugendhilfe aus personellen Gründen nicht dezidiert kontrollieren. "Da muss schon der Träger eine Fachkraft vorhalten, die Kontrolle ausübt. Das Jugendamt steht nur im Hintergrund."

Immerhin hätten die Ausschüsse und die Verwaltung Konsequenzen gezogen, indem das Amt des Jugendpflegers nun einem Rotationsverfahren unterzogen werde, fügte Paß-Weingartz hinzu. Ob im Ako und beim Ako-pro die richtigen Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen wurden, wurde Bintig gefragt. Ja, er glaube, dass mit der neuen Leitung im Gegensatz zur vorherigen ein "tiefes Schuldbewusstsein", Aufarbeitungsengagement und verbesserte Strukturen ins Kolleg eingezogen seien. "Es ist sehr viel Gutes gemacht worden." Aber bis sich eine Schulkultur fundamental ändere, müsse der Prozess langfristig ambitioniert betrieben werden.

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