Jazz-Historiker Rainer Lotz Geht ein Grammy nach Godesberg?

BAD GODESBERG · Wandert Anfang Februar ein Grammy von Los Angeles nach Bad Godesberg? "Es ist vermutlich das erste Mal, dass eine Nominierung dieses internationalen Musikpreises nach Bonn geht", meint Rainer E. Lotz bescheiden.

 Rainer Lotz, leidenschaftlicher Jazzfan und glühender Plattensammler, kennt sich mit den frühen Spuren von Afrikanern und Afroamerikanern in Europa bestens aus.

Rainer Lotz, leidenschaftlicher Jazzfan und glühender Plattensammler, kennt sich mit den frühen Spuren von Afrikanern und Afroamerikanern in Europa bestens aus.

Foto: Ronald Friese

Der Maschinenbau-Ingenieur und promovierte Volkswirt hat seine auf dem deutschen Label "Bear Family Records" produzierte Box "Black Europe" in der Kategorie "Historical Album" in die Grammy-Endrunde gebracht. Der GA berichtete Anfang 2014 über die Produktion.

"Eine sagenhafte und einzigartige Sammlung eines der wohl bedeutendsten deutschen Musikhistorikers" jubelt die Fachpresse nun angesichts der Nachricht aus LA über Rainer Lotz und seine 44 CDs und zwei Bücher. Die Box sei "ein Monumentalwerk der Extraklasse. Archive und Sammlungen in aller Herren Länder und auf allen Kontinenten wurden auf der Suche nach Aufnahmen schwarzer Künstler im Europa vor 1927 durchstöbert", so die Kritik. Lotz selbst kann die Nominierung der National Academy of Recording Arts and Sciences sicher als Krönung seines musikhistorischen Lebenswerks begreifen. Denn seit gut 60 Jahren ist der geborene Norddeutsche, der als Schüler die erste Duke-Ellington-Platte in die Finger bekam, tief von der Sammelleidenschaft historischer Jazzmusik erfasst. Den Keller seines Heiderhofer Hauses hat er schon lange zu einer der größten Fundgruben für Platten und von ihm selbst mitgeschriebener Fachliteratur verwandelt. Was er liebevoll seine "kleine exquisite Sammlung" nennt, ist ein einmaliger Schatz von Zehntausenden Schellackplatten besonders aus der Frühzeit der Schallplattenproduktion, insgesamt sicher 20 Tonnen schwer. In den schmalen Gängen stehen sie streng geordnet "wie die Zinnsoldaten", sagt der 77-Jährige, der nach der Arbeit über Jazz zum Entspannen selbst eigentlich lieber "die Callas, John Cage oder Weltmusik" hört.

Mit dem Grammy feiere sich die amerikanische Musikindustrie eigentlich jedes Mal selbst. Es sei höchst ungewöhnlich, dass eine Produktion aus dem Ausland berücksichtigt werde, denkt der Meister aller Platten. Mag es sein, dass die Jury in der historischen Kategorie einfach nicht mehr an dem eigensinnigen Lotz vorbeikam, der einzigartige Dokumente einer versunkenen Musikepoche ausgegraben und mit Hilfe der Historiker Horst J.P. Bergmeier, Jeffrey Green und Howard Rye so einleuchtend kommentiert hatte?

1244 Einzeltitel von einer Gesamtspieldauer von 56 Stunden, 26 Minuten und 27 Sekunden künden auf jeden Fall davon, wie sicher schwarze Musiker in Europa, also auch in Deutschland, vor dem Nationalsozialismus ihren Platz in Musikensembles erkämpft hatten. Die Box erzählt, wie gerade in den 1920er Jahren kaum ein Kabarettprogramm ohne einen schwarzen Künstler auskam. Den Stil nannte man dann zwar diskriminierend "Nigger Song and Dance", aber in Amerika wären die Auftritte in der Zeit völlig unmöglich gewesen, hat Lotz ermittelt.

Ob nun das Bonner Jahrhundertwerk in LA prämiert wird? "Black Europa", das im Handel für 750 Euro erhältlich ist, füttere auch so Sammlerträume mit Geschichten und Klängen, urteilt die Fachpresse. Die Box sei ein einmaliger Kulturschatz, der von Migration, Rassendiskriminierung und Auswüchsen der Kolonialmentalität erzähle.

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