Interview mit Simone Stein-Lücke "Bei uns fällt niemand durchs Raster"

BAD GODESBERG · Vor zwei Wochen wurde Simone Stein-Lücke von der Mehrheit der Bezirksvertretung zur neuen Bad Godesberger Bezirksbürgermeisterin gewählt. Nach den ersten Tagen im Amt sprach Rüdiger Franz mit ihr.

 Simone Stein-Lücke spricht über ihr neues Amt.

Simone Stein-Lücke spricht über ihr neues Amt.

Foto: Ronald Friese

Frau Stein-Lücke, herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Wie haben Sie die ersten Tage als Bezirksbürgermeisterin erlebt?
Simone Stein-Lücke: Zunächst einmal bin ich sehr herzlich von den Mitarbeitern der Bezirksverwaltungsstelle empfangen worden. Ich habe hier ein tolles Team von hoch motivierten Mitarbeitern angetroffen. Viele Sachverhalte sind mir als Neuling bereits in "verträglichen Häppchen" zur Einarbeitung vorbereitet worden. Ich bin ja sozusagen Azubi im Amt und möchte diesen Status möglichst schnell hinter mir lassen.

Mit welchem offiziellen Termin haben denn die Amtsgeschäfte begonnen?
Stein-Lücke: Der war toll: Eine Begegnung mit der D- und der E-Jugend des SC Muffendorf, die ich zu einer Reise in unsere französische Partnerstadt Saint Cloud verabschieden durfte. Ich möchte ohnehin die inhaltliche Zusammenarbeit mit den Partnerstädten stärken, denn ich bin überzeugt, dass wir durch internationale Begegnungen eine Menge lernen können, insbesondere in Integrations- und Sicherheitsfragen.

In der Bad Godesberger Kommunalpolitik sind Sie noch neu. Auf welche Weise arbeiten Sie sich in die Themen ein?
Stein-Lücke: Ich führe vor allem Gespräche - mit den Menschen auf der Straße, mit der Bezirksverwaltungsstelle, mit den Bezirksfraktionen und mit Annette Schwolen-Flümann, von deren langjähriger Erfahrung ich profitiere - und lese die Zeitung.

Sie sind eine im Beruf stehende Unternehmerin. Wie lässt sich das zeitlich mit dem zeitaufwendigen Ehrenamt vereinbaren?
Stein-Lücke: Bei allem Respekt: Die Kommunalpolitik ist nicht das Weiße Haus. Ich möchte auch nicht, dass die Politik zu einem Elfenbeinturm wird, in dem die Tuchfühlung zum 'normalen Leben' verlorengeht. Es wird terminlich natürlich an der einen oder anderen Stelle auch einmal eng werden. Aber genau das ist die Herausforderung. Ich will den Beweis antreten, dass auch exponierte Ehrenämter mit Familie und Beruf vereinbar sind. Wir sollten dabei Freude und Optimismus ausstrahlen! Ich setze darauf, viele Akteure mit unterschiedlichstem Hintergrund für ein Engagement für Bad Godesberg begeistern zu können.

Gibt es bereits Innovationen in der Amtsführung?
Stein-Lücke: Zum Beispiel lade ich jeden Montag von 7 bis 8.30 Uhr zur wöchentlichen Sprechstunde in die Bezirksverwaltungsstelle ein. Jeder ist willkommen - ob er etwas auf dem Herzen hat oder mich einfach kennenlernen will. Die frühe Uhrzeit soll auch Berufstätigen die Gelegenheit geben, davon Gebrauch zu machen.

CDU und Bürger Bund haben eine lange, mannigfaltige Liste mit Eckpunkten vorgelegt, an denen sie ihre Arbeit ausrichten wollen. Welche Prioritäten setzt denn die neue Bezirksbürgermeisterin?
Stein-Lücke: Sehr viele Punkte aus dem Eckwertepapier sind operative Maßnahmen, die man schnell umsetzen und mit denen man dem Bürgerwunsch konkret begegnen kann. Für mich persönlich sind darüber hinaus aber vor allem solche Dinge wichtig, mit denen die Politik neue Zielgruppen und junge Menschen erreichen kann. Das beginnt mit der Sitzungsdisziplin in der Bezirksvertretung und reicht bis zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt.

In der Bad Godesberger Bevölkerung kommen teilweise extreme soziale Unterschiede zur Geltung. Wie kann es Ihrer Ansicht nach gelingen, allen gesellschaftlichen Gruppen gerecht zu werden?
Stein-Lücke: Ich höre von dieser Problematik immer wieder, aber ich habe noch keine belastbaren Zahlen gesehen, die für Teile Bad Godesbergs beispielsweise eine signifikant hohe Zahl an Schulabbrechern und Hartz-IV-Empfänger aufweisen. Ich sehe dagegen, dass Bad Godesberg mit 30 Schulen eine fantastische und hoch qualifizierte Bildungsstruktur hat. Bei uns fällt niemand durchs Raster. Keine Frage, wir haben eine hohe Zuzugsquote, und eine gute Integrationsarbeit bleibt eine ganz zentrale Herausforderung. Aber ich sehe keine unüberwindbaren Spaltungen. Unsere reichhaltige Ehrenamtslandschaft, die sich aus Menschen jedweden Hintergrunds zusammensetzt, spricht jedenfalls eine andere Sprache. Wir haben ein wunderschönes Umfeld und sollten uns davor hüten, es selbst zu zerreden.

Wie sehen Sie die aktuelle Diskussion um die so genannten Medizintouristen?
Simone Stein-Lücke: Zunächst einmal ist es ausgesprochen begrüßenswert, dass sich viele Menschen Bad Godesberg als Ort für ihre Behandlung ausgewählt haben. Das sollten wir weiter fördern und eine starke und offene Willkommenskultur etablieren. Wir haben es mit teilweise schwer kranken Menschen zu tun, die den Weg aus dem Ausland zu uns finden. Oft treffen sie hier auf eine Situation, in der sie mitunter übel abgezockt werden durch "Zwischenhändler" und Mittler einer Graumarktstruktur... Da müssen wir viel genauer hingucken.

Das klingt, als folge nun ein "Aber...."?
Stein-Lücke: Es geht natürlich nicht, dass der ohnehin schon knappe Wohnraum dem regulären Markt durch Zweckentfremdung entzogen wird. Allerspätestens hier kommen die alteingesessenen Anwohner ins Spiel, deren langjährig funktionierende Nachbarschaften nicht selten beeinträchtigt werden. Ich möchte, dass wir Godesberger uns durch Gäste aus dem Ausland nicht gestört, sondern wieder geehrt fühlen.

Was tun?
Stein-Lücke: Ich lade nach den Sommerferien alle zu einem Runden Tisch ein, die mit dem Thema zu tun haben: Kliniken, Ärzteschaft, Eigentümergemeinschaften, Hoteliers. Wir recherchieren gerade, wer davon betroffen ist. Mir schwebt unter anderem vor, dass wir die Gäste mit Hilfe eines Freiwilligendienstes besser in Bad Godesberg anbinden und auf diese Weise Konflikte entschärfen. Bislang leben die Medizintouristen häufig in einer Parallelwelt.

Dabei gehören sie nicht in einen Topf mit problematischen, integrationsunwilligen Ausländern, sondern haben hier schlichtweg keine Orientierung. Diesem Bedürfnis müssen wir ebenso Rechnung tragen wie den Ansprüchen und Bedürfnissen der Einheimischen. Was wir benötigen, sind kluge strategische Allianzen.

Für viele Menschen in Bad Godesberg wirft beispielsweise die sichtlich wachsende Zahl vollverschleierter Frauen Fragen auf, bei denen es sich nicht nur um Medizintouristen handelt. Was sagen Sie dazu?
Stein-Lücke: Wir werden uns mit dem Thema sorgfältig beschäftigen, um zu erkennen, welche Menschen in Bad Godesberg dauerhaft leben oder nur als Besucher bei uns sind. Ich nehme die Sorge vieler Bürgerinnen und Bürger sehr ernst. Eine besondere Errungenschaft unserer Demokratie sind Toleranz und Vielfalt, darauf sind wir stolz. Das Konzept geht aber nur auf, wenn alle Seiten daran mitwirken.

Es darf nicht sein, dass wir uns unwohl oder unsicher fühlen aufgrund des Stadtbildes. Damit meine ich nicht nur eine Vollverschleierung, sondern auch Geschäfte, die von außen uneinsehbar und nur arabisch beschriftet sind. Von den Menschen, die in Bad Godesberg leben, können wir erwarten, dass sie sich integrieren und sich den hiesigen Gepflogenheiten anpassen.

Welchen Stellenwert haben die Traditionsvereine?
Stein-Lücke: Einen sehr hohen Stellenwert! Dass sich in unseren Vereinen Tausende Menschen und deren Familien teilweise über Generationen engagieren, sagt viel über die Bindungskraft aus. Das macht einen Stadtbezirk wahnsinnig lebenswert und lebendig. Wenn man sehen will, wie Zusammenhalt, Integration und Prävention jedweder Art funktioniert, dann muss man in die Vereine schauen. Ich bin dabei, mich überall vorzustellen und habe große Freude an dem Austausch.

Zur Person

Simone Stein-Lücke, 1969 in Mönchengladbach geboren, studierte Publizistik, Politik, Kunstgeschichte und Amerikanistik in Salzburg und Mainz und führt eine eigene PR-Agentur mit Sitz in Bonn. Die Wahl-Godesbergerin lebt seit sieben Jahren mit Mann und Hund in Plittersdorf. Ihre privaten Interessen sind "Jogging, Schwimmen, Kunst, Kochen, Frankreich und Kino". Seit dem 12. Juni ist sie Bezirksbürgermeisterin von Bad Godesberg.

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