Hermann Philipps Bad Godesberger in der Weltsprache Volapük weit vorn

BAD GODESBERG · Kann eine Sprache einen offiziellen Chef haben? Manchmal ja. Ein Besuch bei Hermann Philipps in Bad Godesberg: Höchstwahrscheinlich wird er der nächste Vorsitzende der kleinen, aber weltweit aktiven "Volapük"-Bewegung.

 "Vicifal" des Volapük: Hermann Philipps pflegt die 135 Jahre alte Sprache.

"Vicifal" des Volapük: Hermann Philipps pflegt die 135 Jahre alte Sprache.

Foto: Volker Lannert

Wenn der Mensch zum Künstler wird, ist es ganz egal, womit. Er kann es mit Blumen. Mit Spielsteinen auf schwarzen und weißen Feldern. Mit Tanzschritten auf edlem Parkett. Oder mit Vokabeln und grammatischen Formen. "Es gibt Sprachen, die lernt man, weil's Spaß macht", sagt der 68 Jahre alte Bad Godesberger Hermann Philipps: Er befasst sich seit Jahren mit der im 19. Jahrhundert entwickelten Kunstsprache Volapük (gesprochen: "wolapühk").

Im weltweiten Freundeskreis dieses exzentrischen Kulturguts ist Philipps derzeit die offizielle Nummer zwei. Somit hat die Brunnenstadt gute Chancen, zur Weltmetropole einer Sprache zu werden - einer zwar sehr kleinen, aber historisch und wissenschaftlich höchst interessanten.

Hermann Philipps unternahm seine ersten Fremdsprachen-Experimente "mit zwei Jahren", berichtet er schmunzelnd. "Meine Mutter wollte damals auswandern und lernte Englisch. Ich habe dann ebenfalls Englisch geredet - oder was ich dafür hielt." Philipps blieb der Sprache Shakespeares treu und wurde professioneller Englisch-Übersetzer. Damit nicht genug: "Einigermaßen mühelos lesen" kann er auch Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch und Afrikaans.

Bei so einem Sprachen-Enthusiasten wundert es nicht, dass er sich auch mit den Idiomen befasst, die absichtlich erdacht wurden, um die Völkerfreundschaft zu fördern (oder, wir hörten es, weil es Spaß macht). Das sind viele bunte Projekte mit vielen bunten Namen. Esperanto. Ido. Interlingua. Neo. Und Volapük, das vor 135 Jahren tatsächlich bewies, dass so etwas kein akademisches Hinterzimmer-Projekt sein (oder bleiben) muss.

542-seitiges Volapük-Wörterbuch von 1931

Von all dem erzählt Hermann Philipps in seiner hellen Maisonettewohnung bei Kakao-Kaffee mit Keksen. Wer eine typische Privatgelehrten-Klause erwartet hat (Bücher bis unters Dach, überall liegt Papier herum), könnte nicht krasser irren: Philipps lebt dezente, aber nicht penible Ordnung. Eine kleine Kochecke; Kunstwerke an der Wand; hier und da eine Zimmerpflanze. Nur die wichtigste Literatur steht auf Papier im Regal (etwa das 542-seitige Volapük-Wörterbuch von 1931).

Ansonsten arbeitet der Experte fast ausschließlich am Computer: Mit den weltweiten Volapük-Fans diskutiert er in einer eigenen Facebook-Gruppe (facebook.com/groups/volapukalised). Mehr als 150 Mitglieder hat sie derzeit - nicht alle sind gleichermaßen aktiv, aber ihre Zahl steigt. Ihnen geht es etwa um die Frage, welcher Volapük-Zeitform welche Verben im Neuen Testament entsprechen. Oder mit welcher der 85 (!) Volapük-Nachsilben man Berufsbezeichnungen bildet. Vielleicht mit "-an" (laut Grammatik für "Personen, die als Träger einer Eigenschaft kenntlich gemacht werden")? Oder doch "-el" ("durch berufliche Arbeit wird ein Produkt sichtbar geschaffen")?

Auch erdachte Sprachen zählen zum Erbe der Weltkultur

So etwas ist keine Schrulle, sondern wissenschaftlich international anerkannt. Hermann Philipps sagt: "Erinnern Sie sich an Bernhard Grzimek, der für die Rettung aussterbender Tierarten kämpfte? Ich bemühe mich, aussterbende Sprachen am Leben zu erhalten." Und die Kölner Gesellschaft für bedrohte Sprachen sagt: "Sprachen sind Ausprägungen menschlicher Kultur und menschlichen Geistes. Als Wert an sich sollten sie - als Manifestationen der Kreativität und der Vielfalt des menschlichen Geistes - erhalten und dokumentiert werden." Warum sollte das für erdachte Sprachen nicht gelten?

In der langen Geschichte des Volapük haben seine Anhänger große Mengen an Geist und Kreativität hervorgebracht - Vereinszeitschriften und Geschichtswerke, Lyrikbände und Witzblätter, politische Leitartikel und Literatur-Übersetzungen (etwa von Karl Mays "Abenteuer in Lappland", Andersens "Hässlichem Entlein" oder Edgar Allan Poes "Das Fass Amontillado").

Viele dieser Texte sind nur in entlegenen Universitätsbibliotheken greifbar, oder als Schreibmaschinen-Typoskript im Nachlass verstorbener Volapük-Freunde. Philipps macht sie für Interessierte wieder zugänglich, stellt sie ins Internet auf selbst programmierte Webseiten und passt sie dabei den heutigen Sehgewohnheiten an, verschönert sie mit Ornamenten und passenden Fotos. Nebenher macht er die altehrwürdige Sprache fürs 21. Jahrhundert anwendbar, berichtete auf Facebook etwa vom Godesberger Weihnachtsmarkt ("kritidamaket") über Reibekuchen ("pöteta-röbakeks"), Glühwein ("bijopavin") und Bratwurst ("loetama-sosit"). Und für die Weihnachtsfeier machte er die "Geschichte vom Lamettabaum" der Autorin Margret Rettich zur "Konotil dö largentafada-bim".

Problem dabei: Nicht überall, wo's draufsteht, ist auch Volapük drin. Mancher Enthusiast redet und schreibt zwar fröhlich drauflos, übersieht aber die akribisch erdachten grammatischen Feinheiten. Neuere Texte untersucht und korrigiert Philipps deshalb auf sprachwissenschaftlichem Niveau, wägt verschiedene Lehr-Autoritäten gegeneinander ab, als untersuche er eine historische Urkunde auf ihre Echtheit. Hier bringt er seine Berufserfahrung ein: "Zu übersetzen heißt, nicht die Wörter zu übertragen, sondern die Bedeutung."

Noch immer gibt es die 1887 gegründete Volapük-Akademie, noch immer geleitet von einem offiziellen Vorsitzenden, dem "Cifal" (gesprochen: "tschif-Ahl"). Seit 1984 ist das der Engländer Brian Bishop. Er hat Philipps zu seinem Stellvertreter ernannt, zum "Vicifal": Somit ist der Bad Godesberger als nächster Sprach-Chef mehr oder weniger gesetzt. Damit schließt sich ein historischer Kreis: Schon zwischen 1912 und 1948 war Godesberg Welt-Volapük-Hauptstadt - damals amtierte dort als "Cifal" der Theologe Albert Sleumer.

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