Godesberger Gegensätze Wo die Integration lebt

Pennenfeld · Wie Jugendliche mit Migrationsgeschichte ihre Rolle und ihr Bild bei deutschen Mitbürgern wahrnehmen, zeigt sich am Beispiel des Taekwondo Clubs am Sportpark Pennenfeld. Hier wird interkulturelle Begegnung durch Sport gelebt.

„Das ist mehr als jeder Jugendtreff bieten kann. Das ist unser zweites Zuhause.“ Khaled Sharif geht seit vier Jahren jede Woche zum Taekwondo und fühlt sich am Rande des Sportparks Pennenfeld pudelwohl.

Der Olympic Taekwondo Club (OTC), untergebracht in einer maroden Halle, einen Steinwurf entfernt von der Fahd-Akademie, ist nicht nur für den 18-Jährigen mehr als ein Sportverein. „Wir nehmen viele Leute hier im Verein auf. Da kommen alle Religionen und Kulturen zusammen, und alle sind gleich“, sagt Sharon Zuccaro. Für die 16-Jährige, die bereits seit elf Jahren im OTC trainiert, müsse es mehr Vereine geben, die sich bewusst öffnen und als Integrationsmotor ein Vorbild sind.

Das sieht auch Aziz Acharki so. Der in Bad Godesberg geborene Deutsch-Marokkaner war Weltmeister und Taekwondo-Bundestrainer. „Die Sportvereine sind jetzt mehr in der Verantwortung denn je“, sagt der 44-Jährige. „Kinder und Jugendliche müssen gefordert werden. Wir können niemanden zwingen, aber eine wichtige Hilfestellung sein.“ Für ihn sei es wichtig auch die Eltern in den Club mit einzubeziehen.

Auch die müsse man kennen und verstehen lernen, findet er. „Wir können einiges schaffen, wenn wir offen aufeinander zugehen“, sagt er. Das zeigten etwa die Sommerfeste auf dem Parkplatz. Gerade nach den Ausschreitungen an der Fahd-Akademie 2012 hätte man erleben können, wie gut das Zusammenleben trotz vorhandenen Kontrasten funktionieren kann. „Miteinander und nicht gegeneinander. Das ist, was wir haben wollen.“

In der ehemaligen Garage direkt an der Halle gibt es mittlerweile Räume für Nachhilfe und interkulturelle Begegnungen. Die Aktion „Integration durch Sport“ liegt Acharki sehr am Herzen. Der OTC ist einer von fünf Vereinen in Bonn, der über den Stadtsportbund bei dem vom Deutschen Olympischen Sportbund geförderten Programm mitmacht.

Ziele der Aktion „Integration durch Sport“

Ziele sind die Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen, ihre Sitten und Lebensstile zu fördern und so den Dialog zwischen Zuwanderern und den deutschen Mitbürgern zu erleichtern. Bei der Umsetzung erfährt der OTC seit einigen Jahren Unterstützung von der Arbeiterwohlfahrt (Awo). „Wir wollten unsere Hilfe dort andocken, wo alle möglichen Gruppierungen versammelt sind und die Angebote für alle offen gestalten“, erklärt Angelika Weiß von der Awo in Bad Godesberg die Initiative.

Da das Programm nach fünf Jahren aber nun auslaufe, stehe das erfolgreiche Integrationsmodell auf der Kippe. Man sei sowieso schon auf Spenden angewiesen, aber das reiche nicht, um künftig weitere Aktionen wie etwa Ferienfreizeiten anzubieten.

„Alle loben, wie wichtig das Programm sei, aber wenn es um die Finanzierung geht, krebsen alle nur rum“, kritisiert Weiß. Acharki stimmt ihr da zu. „Was wichtig ist, ist die Nachhaltigkeit, aber die wird meist nicht gefördert. Unser Ziel sind keine Einzelaktionen, sondern dauerhafte Förderung“, sagt er. Bei den Förderanträgen müsse man das Rad aber immer wieder neu erfinden. „Was Erfolg hat, darf leider so nicht weiterlaufen. Dabei hat sich das Bestehende doch oft bewährt. Auch in unserem Fall.“ Es müsste ein bisschen Geld in die Hand genommen und endlich eine feste Stelle geschaffen werden, dann könne man viel mehr machen, sagt Acharki.

Denn das sei angesichts der Vorfälle und Vorurteile dringend notwendig. „Was vergangenes Jahr hier in Godesberg passiert ist, ist schon sehr hart und die Zeit, in der wir leben, ist gefährlich“, sagt er. Gerade der Tod von Niklas habe ihn sehr betroffen gemacht.

„Wir müssen zusammenhalten und vor allem die Augen aufhalten, dass sich das nicht wiederholt“, warnt Acharki. Sharif versucht die Gewaltbereitschaft und den Sittenverfall zu erklären: „Es gibt so viele Mitläufer. Wenn die Jungs in einer Clique sind, sind die oft ganz anders“, sagt er. Die würden eben mitgezogen und zum Teil gezwungen.

Er selbst wurde schon mal Opfer einer Attacke. Als er einen der Angreifer danach alleine zur Rede stellte, sei dieser wie ein anderer Mensch aufgetreten – fast schüchtern und vor allem einsichtig. „Das alles ist echt traurig mitzuerleben.“

Erziehung der Eltern spielt eine Rolle

Für ihn spiele dabei auch die Erziehung der Eltern eine Rolle. „Die müssen einfach viel mehr Vorbild sein“, sagt er. So könnte man zum Beispiel feststellen, dass viele junge Leute – ganz egal welcher Herkunft – Höflichkeit mit Schwäche verwechseln. „Wenn ich einer älteren Dame über die Straße helfe, gilt das heute als uncool. Respekt und Solidarität spielt bei vielen keine Rolle mehr“, sagt Sharif.

Auch Sharon macht sich Sorgen um den steigenden Hass in der Gesellschaft. „Es ist schon schockierend, das mittlerweile fast alle Jugendlichen hier mit einem Taschenmesser rumlaufen“, sagt sie. Gerade der Todesfall Niklas' habe zum Nachdenken, auch im OTC, angeregt.

„Das hat uns alle sehr getroffen. Aber wir müssen einen kühlen Kopf bewahren und dürfen jetzt nicht alle durchdrehen“, findet sie. Denn völlig einschüchtern lassen möchte sie sich nicht. „Wir können uns doch nicht einsperren“, sagt sie. Zumindest bei Auseinandersetzungen von Gruppen halte sie sich aber so gut es geht fern, nicht aus mangelnder Zivilcourage, sondern aus Angst, im falschem Moment eben doch am falschen Ort zu sein.

Hilfesuchende beim OTC

Viele Jungs und Mädels, aber auch ältere Frauen seien im vergangenen Jahr hilfesuchend beim OTC vorbeigekommen, erzählt Sharon. Ihr Wunsch: „Zeigt uns doch mal ein paar Taekwondo-Tricks!“ Sie sieht das als Chance, genauso wie Sharif: „Hier im Verein lassen wir die Religion außen vor. Wenn man bei uns die Türschwelle betritt, ist alles anders“, sagt er. Der Sport verbinde, man müsse es einfach ausprobieren.“

Auch Aziz Acharki will Vorurteile abbauen. Seiner Meinung nach würden die Menschen immer häufiger alles vermischen – ob Flüchtling oder deutscher Staatsbürger mit Migrationsgeschichte: Die meisten machten keinen Unterschied und wollten den auch gar nicht sehen.

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