Gymnasien in Bad Godesberg Turbo-Abi bremst die Reiselust

BAD GODESBERG · Tobias Kemkes ist 15 Jahre alt, als er Anfang August ins Flugzeug Richtung Michigan steigt. Fünf Monate lang besucht er in dem US-Bundesstaat die Brimley High School. "Ich hätte auch ein ganzes Jahr machen können, aber dann mit ziemlicher Sicherheit die zehnte Klasse wiederholen müssen", begründet der Bad Godesberger Schüler seine Entscheidung für die verkürzte Version eines USA-Schulbesuchs.

 Eine Erfahrung, die sich viele G 8-Schüler nicht mehr zutrauen: Der Schritt ins Ausland und das Sammeln von Erfahrung dort - wie etwa der Besuch der Niagara-Fälle in den USA.

Eine Erfahrung, die sich viele G 8-Schüler nicht mehr zutrauen: Der Schritt ins Ausland und das Sammeln von Erfahrung dort - wie etwa der Besuch der Niagara-Fälle in den USA.

Foto: Clemens Boisserée

Damit ist Tobias Kemkes nicht allein. Seit in Nordrhein-Westfalen fast alle Gymnasien die Schulzeit von neun auf acht Jahre (G8) verkürzt haben, ist die Skepsis, ein volles Schuljahr im Ausland zu verbringen, groß.

Kemkes Schulleiter am Amos-Comenius-Gymnasium (ACG) in Bad Godesberg, Christoph Weigeldt, berichtet: "Quantitativ hat sich nichts geändert. Zehn bis 15 Schüler von uns gehen während der Einführungsphase ins Ausland. Aber dort bleiben sie verstärkt nur noch für fünf Monate, also für das erste Halbjahr." Der Ausblick, gut vorbereitet in die folgenden zwei Jahre bis zum Abitur zu gehen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber auch, wie bei Lukas Kemkes, die Sorge vor dem Wiederholen

Dass die Reiselust unter Oberstufenschülern seit der G8-Einführung zumindest nicht gewachsen ist, zeigen auch Nachfragen des General-Anzeigers bei anderen weiterführenden Schulen in Bad Godesberg. Im Konrad-Adenauer-Gymnasium gehen im Schnitt zehn, im Nicolaus-Cusanus-Gymnasium zwischen drei und fünf Jugendliche im Jahr in die Fremde.

"Die Verunsicherung bei Eltern und Schülern, ob sie überhaupt noch Zeit für Auslandserfahrung haben, war gerade zu Beginn von G8 im Jahr 2010 groß und baut sich erst langsam wieder ab", beschreibt Verena Hanneken von der Bonner Austauschorganisation "stepin" die Situation. Die Teilnehmerzahlen an Auslandsschulbesuchen sanken laut "stepin" NRW-weit um etwa 30 Prozent.

Eine Entwicklung, die Schulleiter Christoph Weigeldt bedauert. Er möchte Eltern und Schüler ermuntern, den Schritt ins Ausland zu wagen. Zum einen habe bislang zumindest am ACG niemand nach einem Auslandsschulbesuch wiederholen müssen. Zum anderen: "Wer wegen eines Auslandsjahres ein Jahr später sein Abitur macht, der hat damit nichts verschenkt", so Weigeldt. Doch diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch. "Viele Eltern merken erst jetzt, dass sie dem Kind mit einem Auslandsjahr auch eine verlängerte Kindheit schenken können", so Sabine Stedtfeld von "Experiment e.V.", der zweiten Bonner Organisation für Auslandsschulbesuche.

Beliebter werden dabei ob der schulischen Herausforderungen daheim zunehmend Länder mit gutem Bildungsruf. Zwar stehen bei beiden Organisationen weiterhin die USA ganz oben, aber "wir merken, dass Länder wie Frankreich, Großbritannien und vor allem Irland stark im Kommen sind", berichtet Stedtfeld.

Diese Veränderung in der Länderauswahl ist neben dem akademischen Aspekt auch und vor allem dem niedrigeren Alter der Schüler beim Eintritt in die Oberstufe, dem typischen Zeitraum für einen Auslandsbesuch, geschuldet. Für die Organisationen hat dies - neben dem Umstieg auf kürze Zeiten und mehr Ländervielfalt - eine weitere Herausforderung zur Folge.

"Die Bereitschaft vieler Eltern, einen 15-Jährigen ziehen zu lassen, ist deutlich geringer als bei einem 16-Jährigen. Meist wollen die Kinder, aber die Eltern klammern", beschreibt Stedtfeld. Die Organisationen haben daher ihre Beratungsangebote intensiviert. Auf längeren Flügen werden die Jugendlichen bei "Experiment e.V." mittlerweile durch einen Betreuer begleitet.

Einig sind sich alle Beteiligten letztlich in dem, was auch Lukas Kemkes nach seiner Zeit in den USA zu berichten hat: "Die Erfahrung, die ich dort gesammelt habe, bleibt. Egal, ob ich jetzt ein halbes oder ein ganzes Jahr dort war." Selbstbewusster und selbstständiger sei er geworden. Das sei ihm das Nachholen von Schulstoff in den kommenden Wochen wert.

Kosten für einen Schulbesuch im Ausland

Für einen Schulbesuch im Ausland entstehen vor allem Betreuungs-, Flug- und Schulkosten. Bei der gemeinnützigen Bonner Organisation "Experiment e.V." zahlt man für ein Schuljahr in den USA 8900 Euro (8200 Euro für fünf Monate). Über die kommerzielle Bonner Agentur "Stepin" entstehen für ähnliche Leistungen Kosten von knapp 8300 Euro (7720 Euro für fünf Monate). Darin jeweils nicht enthalten sind monatliches Taschengeld, Visumgebühren (270 Euro) und Schulbücher oder andere Schulmaterialien.

Weitere in Bonn vertretene Organisationen sind beispielsweise "AIFS", "weltgewandt" oder "ec.se". Für Eltern gibt es Möglichkeiten, die stattlichen Kosten in Grenzen zu halten, denn auch Stipendien werden angeboten. "Stepin" etwa vergibt in Kooperation mit dem Deutschen Fachverband High School e.V. jedes Jahr vier Vollstipendien. "Experiment e.V." hat einen eigenen Stipendienfonds eingerichtet.

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