Buch zum Missbrauchsskandal am Ako Tiefe Einblicke in ein System der Gewalt

BAD GODESBERG · Mitten in der aktuellen Diskussion über Nacktbilder von Kindern und die Edathy-Affäre erscheint am 19. März ein Sammelband, der beklemmende Berichte von Betroffenen enthält.

Protestaktion im Jahr 2012: Missbrauchsopfer und Mitglieder des Dokumentartheaters Berlin vor dem Aloisiuskolleg.

Protestaktion im Jahr 2012: Missbrauchsopfer und Mitglieder des Dokumentartheaters Berlin vor dem Aloisiuskolleg.

Foto: Axel Vogel

Ehemalige Schüler des Bonner Aloisiuskollegs (Ako) und des Ako-Pro-Seminars schildern, wie sie von Jesuitenpatres und anderen Mitarbeitern gedemütigt, sexuell missbraucht, beim Duschen beobachtet oder nackt fotografiert wurden.

Der Buchtitel "Unheiliger Berg" erscheint auf den ersten Blick etwas abstrakt. Es geht konkret um das Ako, in Bonn auch "Heiliger Berg" genannt, und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Der Sammelband ist zugleich eine Fortsetzung des Buchs "Unheilige Macht", in dem drei Jesuitenpatres Ende 2012 erstmals die Rolle ihres Ordens aufgearbeitet haben. Darin fehlten aber die Stimmen von Betroffenen und der genaue Blick aufs Ako.

In "Unheiliger Berg" wird der Machtmissbrauch am Ako aus allen Perspektiven analysiert: von Betroffenen und Angehörigen, Mitschülern, Vertretern von Schule, Internat und Orden, von Politik, Justiz und Opferschutz. Besonders bemerkenswert ist das Gespräch zwischen dem heutigen Ako-Internatsleiter Christopher Haep und dem ehemaligen Internatsschüler Heiko Schnitzler, das Hochbrisantes wie neue Funde von Nacktfotos 2011 und Selbstmordfälle von Ako-Schülern thematisiert.

Vor vier Jahren hatten sich erstmals Betroffene zu Wort gemeldet, Rektor Pater Theo Schneider trat zurück. Seither muss sich das Ako der Aufklärung zahlreicher Fälle aus 60 Jahren stellen. "Das System Aloisiuskolleg überlebte seinen wichtigsten Täter, und selbst die beginnende Aufklärung konnte es zunächst nicht brechen", schreibt Matthias Katsch, Sprecher des "Eckigen Tischs" in seiner Einführung aus Sicht der Betroffenen.

Man fragt sich beim Lesen unweigerlich, wie sich an der Eliteschule eine Kultur entwickeln konnte, in der offenbar niemand Anstoß an den Fotos nackter Jungen nahm, die sichtbar an den Wänden des Internats hingen. Haben mehrere Generationen von Eltern, Lehrern und Mitschülern nichts gemerkt? Und wie hätte man sich selbst in dieser "Spirale des Schweigens" verhalten, wie sie Pater Georg Maria Roers beschreibt?

Anselm Neft, der als nicht selbst betroffener, ehemaliger Ako-Schüler beim Eckigen Tisch mitarbeitet, beschreibt eine "gewalttätige und willkürliche Auslesemaschine", in der demütigende Grenzverletzungen die Regel waren. Der verstorbene Pater Ludger Stüper wird im Buch wie in "Unheilige Macht" als Täter namentlich genannt, andere Beschuldigte tragen Pseudonyme.

In den Berichten der Betroffenen aus verschiedenen Jahrzehnten entblößen sich die Opfer aufs Neue. Aber sie haben selbst in der Hand, was sie preisgeben, wie sie das Erlebte formulieren. Sie kämpfen immer noch um Anerkennung, denn es gibt Stimmen, die meinen, dass ein paar Fotos einem erwachsenen Mann nicht mehr schaden könnten. Die neuen Texte machen deutlich, wie perfide, zum Teil gewalttätig und vielschichtig das "System Ako" war, und dass es eine regelrechte "Tradition des Missbrauchs" gab.

Bei der Einordnung der Texte und Personen helfen die Fußnoten der Herausgeberin. Jesuitenpater Godehard Brüntrup, einer der drei Herausgeber von "Unheilige Macht", schreibt in seiner Einführung zum neuen Buch: "Dass die Betroffenen in diesem Band schonungslos offen reden, ist ein Beleg dafür, welches Vertrauen sich Frau Hagenberg-Miliu erworben hat." Verständlicherweise sei solch ein Vertrauen in die drei jesuitischen Herausgeber nicht gegeben gewesen. "Daher ist dieses neue Buch so wichtig."

Mehrere Beiträge des insgesamt 288 Seiten starken Sammelbandes sind den Themen Prävention und weitere Aufarbeitung gewidmet. Der heutige Ako-Rektor Pater Johannes Siebner schildert das Dilemma einer Schul- und Internatsgemeinschaft, die den Alltag mit Projekten, Feiern und Konzerten lebt, und zugleich Ort des Schreckens war. "Wir müssen weiter reden", sagt er. Ein Schlussstrich sei nicht möglich. Um künftige Schülergenerationen zu schützen, setzt Siebner auf eine Kultur der Wachsamkeit, nicht auf Misstrauen.

Kurz gefragt

Die Herausgeberin Ebba Hagenberg-Miliu ist promovierte Germanistin, Journalistin und mehrfache Buchautorin. Über das Thema berichtet sie seit Anfang 2010 lokal für den General-Anzeiger Bonn und bundesweit für die Nachrichtenagentur epd. Mit ihr sprach Bettina Köhl.

Was unterscheidet "Unheiliger Berg" von dem Vorgängerband "Unheilige Macht"?
Ebba Hagenberg-Miliu: Ich habe den Bogen weiter gespannt. Ich wollte auf jeden Fall alle Perspektiven unter einen Buchdeckel bringen. Und zum ersten Mal steht das Ako im Mittelpunkt.

Sie beschreiben, dass Sie über Wochen abends am Telefon alten und jungen Männern zugehört haben, die nicht selten unter Tränen ihre Geschichte erzählt haben.
Hagenberg-Miliu: Ich recherchiere seit 2010. Am Anfang hatten die Betroffenen überhaupt keine Anlaufstelle.

Also sind Sie auch betroffen?
Hagenberg-Miliu: Ich habe meine journalistische Position nicht verlassen. Ich bin eine unabhängige Zuhörerin.

War es schwierig, alle Beiträge für diesen Sammelband zusammenzutragen?
Hagenberg-Miliu: Es gab keine Hindernisse. Die Akteure, die perspektivisch nach vorne denken, machen mit. Ich habe durch meine journalistische Arbeit den Vorteil, dass ich an den Leuten schon ganz nah dran bin. Ich bin sehr froh, dass die Betroffenen Vertrauen hatten und sich auch der aktuelle Ako-Rektor und der Internatsleiter zu Wort melden. Alle sind an Aufklärung interessiert. Bedauernswert ist, dass der ehemalige Rektor Pater Schneider nicht mitgemacht hat.

Ist alles gesagt, wenn man "Unheiliger Berg" gelesen hat?
Hagenberg-Miliu: Dieses Buch ist nur ein weiterer Schritt in einem Prozess, der weitergehen muss, kein Schlusspunkt.

Info

Ebba Hagenberg-Miliu (Hrsg.), Unheiliger Berg. Das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, Verlag W. Kohlhammer 2014 , ISBN 978-3-17-025130-4, 288 Seiten, ab 19. März, Preis 29,90 Euro. http://unheiliger-berg.jimdo.com/

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