Serie Godesberger Gegensätze So manches ist aus den Fugen geraten

BAD GODESBERG · Da ist der gewaltsame Tod des 17-jährigen Niklas P., der Unmut über die Vollverschleierung auf den Straßen und die Schattenseiten des Medizintourismus. Bad Godesberg kämpft um sein Image. Um es zu nachhaltig zu verbessern, braucht es Geduld, Ausdauer und zahlreiche Hände, die anpacken.

Es gibt Ärgernisse, die schweißen selbst politische Gegner zusammen. So sind angesichts des um sich greifenden Unbehagens vor islamischen Gesichtsschleiern Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke (CDU) und Juppi Schaefer von der Wählergruppe „Die Godesberger“ eine Allianz eingegangen, die da fordert: „Nein zur Vollverschleierung in Bad Godesberg“.

Erstaunlich an dieser Allianz ist vor allem, dass Stein-Lücke dem Medizintourismus relativ offen gegenübersteht, während Schaefer genau diesen als die Wurzel des Übels, nämlich einer „Islamisierung Bad Godesbergs“ sieht.

Dieser und ein weiterer Fall, nämlich das Hin und Her um die geplante Moschee im Gewerbegebiet Nord, zeigen: Der Islam ist offensichtlich vielen Ur-Godesbergern nicht geheuer – möglicherweise auch deshalb, weil man mit der König-Fahad-Akademie und ihren zeitweiligen islamistischen Umtrieben in den 2000er Jahren so seine schlechten Erfahrungen gemacht hatte.

Doch was steckt tatsächlich hinter dem geforderten Burkaverbot und der Skepsis gegenüber einer Moschee im Gewerbegebiet? Ist es bei Letzterem tatsächlich nur die Befürchtung eines Verkehrschaos und die Sorge um Parkplatzmangel? Oder ist es eine um sich greifende Islamfeindlichkeit?

Pflege liebgewonnener Vorurteile

Um das herauszufinden, müssten beide Seiten – Muslime und Nicht-Muslime – vorurteilsfrei aufeinander zugehen und kritisch, aber sachlich miteinander reden. Stattdessen begnügt man sich allzu oft mit der Pflege liebgewonnener Vorurteile.

Dabei wäre das offene Gespräch nötiger denn je für ein gedeihliches Zusammenleben. Denn viele Alt-Godesberger sind genervt über Medizintouristen, die, aus der arabischen Welt kommend, hiesige Gepflogenheiten nicht kennen oder respektieren wollen – angefangen von der wilden Müllentsorgung bis hin zur Nichteinhaltung der Nachtruhe.

Andererseits sind es die muslimischen Godesberger, die hier zum Teil seit Jahrzehnten gut integriert leben, leid, dass auch sie unter einer Fremdenfeindlichkeit leiden, die nicht zuletzt aus der Angst vor Jugendkriminalität und dem Frust über die Auswüchse des Medizintourismus resultiert.

Der gewaltsame Tod des 17-jährigen Niklas P. ließ Bad Godesberg in einer Schockstarre zurück. Der Jugendliche hatte mit Freunden am Vorabend von Rhein in Flammen in der Rheinaue gefeiert. Auf dem Heimweg traf die Clique am Rondell an der Rheinallee auf eine Gruppe junger Männer.

Ein Gefühl von Unsicherheit

Beleidigungen wurden laut, einige von Niklas' Begleitern mussten Schläge einstecken – auch der 17-Jährige. Er wurde mit einem Schlag und einem Tritt gegen den Kopf niedergestreckt und verstarb wenig später im Krankenhaus. Der mutmaßliche Haupttäter Walid S. konnte schnell gefasst werden. Doch die Tat hat tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur bundesweit, ganz besonders in Bad Godesberg.

Das Gefühl von Unsicherheit, das sich bei vielen schon vor Jahren breit gemacht hatte, nahm weiter zu. Diskussionen über den Niedergang des Stadtbezirks, sogenannte No-Go-Areas rund um Rheinallee, Fußgängerzone und Kurpark wurden laut. Polizei und Stadt reagierten. Mit vermehrten Kräften sind sie seitdem sichtbar in Bad Godesberg unterwegs, neuralgische Punkte werden (noch) stärker unter die Lupe genommen. Aufenthaltsverbote sollten jugendliche Straftäter von bekannten Treffpunkten wie Parks und Plätzen fernhalten.

Die Maßnahmen zeigen Erfolg, nach Auskunft der Behörde ist es in Bad Godesberg deutlich ruhiger geworden. So sicher wie zu Hauptstadtzeiten, als Streifenwagen und Reiterstaffel das Bild des Stadtbezirks prägten, fühlen sich viele aber noch immer nicht. Von Verharmlosung und Vertuschung war und ist die Rede; Stadt und Polizei wollten die Bürger nur beruhigen, indem die Realität verdreht werde, heißt es.

Nicht erst seit Niklas P. wird im Bezirk das Thema Jugendarbeit diskutiert. Aber wer muss eigentlich was leisten? Für einen großen Aufschrei hatte Anfang des Jahres der städtische Freizeitstättenbedarfsplan gesorgt, in dem die personelle und finanzielle Ausstattung der Einrichtungen und Projekte festgelegt wird.

Alarmierte Jugendarbeiter

Dort war vorgeschlagen worden, die Arbeit des One-World-Mobils einzustellen. Dieses fährt Standorte an Kurpark, Rheinallee und am Panoramaplatz an. Die Stadt vertrat die Ansicht, dass das neue One-World-Café in der City das Angebot ersetze. Und das, obwohl Jugendamtsleiter Udo Stein im darauffolgenden Juni betonte: „Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit.“ So beschlossen die Träger, das katholische Hermann-Josef-Haus und die evangelische Jugendhilfe Godesheim, das Mobil zunächst selbst weiterzufinanzieren – mit Spenden und Sponsoren. Nach der Kritik machte die Verwaltung ihr Zutun vom politischen Willen abhängig.

Im August dann schlug der Mehlemer Pfarrer Klaus Merkes Alarm. Er forderte nicht nur pädagogisch ausgebildete Streetworker für sein Viertel. Er befürchtete auch das Ende des Jugendtreffs JiM – wegen fehlender Perspektiven gab es keine hauptamtliche Kraft mehr. Die Gemeinde betreut mit Ehrenamtlichen am Nachmittag an die 50 Grundschüler, viele aus Migrantenfamilien, die keine Plätze in einer Offenen Ganztagsschule (OGS) haben.

Die Stadt forderte aber, spätestens ab 2018 verstärkt das Augenmerk auf Jugendliche zu legen. Zudem gab das Presseamt fehlende Haushaltsmittel als Grund dafür an, warum statt der 2,6 vorgesehenen Fachstellen für ganz Mehlem nur zwei genehmigt würden. „Ich werde mich persönlich für Bad Godesberg einsetzen“, hatte OB Ashok Sridharan kurz nach Amtsantritt verkündet. Zumindest beim Thema Jugendarbeit hätten sich freie Träger und Ehrenamtliche mehr Unterstützung gewünscht.

Flüchtlingskrise bravourös gemeistert

Bad Godesberg kämpft um sein Image. Um es zu nachhaltig zu verbessern, braucht es Geduld. Ausdauer. Und zahlreiche Hände, die anpacken. Das Gute: Es gibt sie bereits. In den Ortsausschüssen, der Bürgerstiftung, in Gemeinden, Schulen und Vereinen. Bad Godesberger, die sich ehrenamtlich engagieren – für andere.

An ihrer Motivation liegt es wohl auch, dass der Stadtbezirk die viel beschworene Flüchtlingskrise fast schon bravourös gemeistert hat. Im Vergleich mit Hardtberg, Beuel und Bonn kamen überdurchschnittlich viele Flüchtlinge nach Bad Godesberg – an der Karl-Finkelnburg-, der Goten- und der Koblenzer Straße zum Beispiel wurden Gebäude gekauft und umgebaut, an der Rheinallee und der Riemenschneiderstraße kamen Flüchtlinge unter. Von den privaten und angemieteten Wohnungen ganz zu schweigen. Was folgte, war (bis auf wenige Ausnahmen) kein Jammern, kein Lamentieren. Was folgte war eine Welle der Hilfsbereitschaft, die bis heute anhält.

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