Interview zu Integration in Bonn Professor Blasius: „Integration statt Ghettoisierung“

Bad Godesberg · Hier die Deutschen, da die Ausländer – das ist nach Einschätzung von Soziologieprofessor Jörg Blasius der falsche Weg. Nur gemeinsam lässt sich für den 59-Jährigen die Zukunft meistern – in Bad Godesberg wie anderswo auch. Mit dem Bonner Professor sprach Silke Elbern.

Woher resultiert eigentlich die Angst der Menschen vor dem Fremden?

Professor Jörg Blasius: Das ist eine Angst vor dem Unbekannten. Je weiter man unten ist in der Gesellschaft, desto größer ist die Angst. Da gibt es diffuse Ängste vor weiteren Verschlechterungen - man nimmt nur selten an Wahlen teil, weil man sich nicht repräsentiert fühlt. Diese Personen werden jetzt aufgefangen durch Bewegungen wie Pegida oder AfD.

Blasius: Man sucht jemanden, der schuldig ist, auch an der eigenen Misere. Man nimmt jemanden, der deutlich schwächer ist, aber keine Einzelperson, sondern eine sichtbare Gruppe von Personen. Das finden Sie in anderen Ländern auch. Nehmen Sie Frankreich mit den Algeriern, nehmen Sie England mit den Pakistanis. Man sucht Personengruppen, von denen man denkt, dass sie unter einem sind, weil man nicht selbst ganz unten stehen möchte.

Was man sucht ist also eine Abgrenzung?

Blasius: Ja, man will besser sein und sei es über die Nationalität. Nach dem Motto „Ich bin besser. Ich bin stolz, ein Deutscher und hier geboren zu sein“. Man findet das andere fremd, auch wenn vieles nicht fremd ist. In Bad Godesberg ist natürlich die Vollverschleierung fremd. Daran kann man seine unguten Gefühle auslassen.

Blasius: Die „guten“ Migranten sind die, die man nicht am Äußeren erkennt. Wie jene aus den Niederlanden, Amerika, England. Bei der Burka sehe ich: Oh, das ist fremd, das will ich nicht. Wenn diese Sichtbarkeit nicht da wäre, würden sie auf der Straße nicht auffallen.

Blasius: Da müssen wir tatsächlich aufpassen. Eine Parallelgesellschaft erhalten wir auch, wenn wir eine hohe Segregation haben. Das ist gerade bei den Flüchtlingen ein Riesenproblem. Sie werden vielfach hoch konzentriert untergebracht. Das wirkt jeder Integration entgegen.

Blasius: Ja, das ist das Schlimmste, was die Politik anrichten kann. Dann sind die Leute unter sich und es gibt keinen Anlass, die neue Sprache zu lernen und in der neuen Kultur zu leben. Zudem werden sie als fremde Gruppe wahrgenommen, die unter sich bleibt.

Blasius: Aktive Integration bedeutet erst mal, dass die Flüchtlinge so schnell wie möglich Zutritt zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. So wie in den skandinavischen Ländern. Lasst die Leute arbeiten und wartet nicht eineinhalb Jahre mit einer Genehmigung. Das sollte innerhalb von vier Wochen geschehen.

Blasius: Das ist ein Problem. Viele der Migranten, gerade auch viele der Flüchtlinge, werden auf einem niedrigeren Niveau anfangen müssen, als es ihren Qualifikationen entsprechen würde. Wenn sie die Fähigkeiten praktisch nachgewiesen haben, sind sie auch ziemlich schnell im Aufstiegsbereich. Ich sehe ja als Unternehmer, wie gut mein Mitarbeiter ist. Wenn er mehr kann, als ich anfangs dachte, befördere ich ihn.

Blasius: Wenn jemand integriert ist, kostet er den Staat keinen Cent. Dann zahlt er alle seine Steuern und Abgaben. Warum soll ich so jemanden noch abschieben?

Blasius: Deutschland ist stark überaltert, wir brauchen laut Arbeitgeberverband jedes Jahr um die 600 000 Flüchtlinge oder andere Einwanderer in einem günstigen Alter für den Arbeitsmarkt, also unter 40 Jahre. Und dies schon ziemlich schnell, schon allein, um auch in naher Zukunft die Renten auf einem Niveau finanzieren zu können, welches oberhalb von Hartz IV liegt und welches die Zahlenden finanzieren können.

Blasius: Im mittleren und höheren Bildungssegment ist die Sprache im Freundeskreis egal. Wenn es auf Deutsch oder Türkisch nicht klappt, unterhält man sich in Englisch. Wenn es jedoch keine gemeinsame Sprache gibt, bleiben Zugezogene und Deutsche meistens unter sich. Zusätzlich zu der strukturellen Integration, also der Integration auf dem Arbeitsmarkt, ist noch die beidseitige Anpassung der Werte und Normen hilfreich.

Blasius: Da wir die Mehrheitsgemeinschaft stellen, werden es überwiegend deutsche Normen sein. Damit sind keinesfalls Gesetze gemeint. Was da geändert wird, entscheidet die deutsche Politik. Allerdings hat eine Studie mit einem Kölner Kollegen und mir auch gezeigt: Verglichen mit deutschen Bewohnern eines Wohngebietes haben türkische Bewohner deutsche Werte und Normen stärker verinnerlicht. Sie sind insofern noch „deutscher“ als die Deutschen.

Blasius: In der Innenstadt und der Altstadt sind die Ausländer räumlich nicht isoliert, man lebt nebeneinander. Es gibt keine Ghettos, keine Häuser oder Blocks, wo sie konzentriert wohnen. Zudem sind die Leute auch im Arbeitsmarkt integriert, sonst könnten sie sich die Altstadt gar nicht leisten. In Bad Godesberg arbeiten bestimmte Agenturen mit Vermietern oder Eigentümern zusammen, die ein Maximum an Profit herausholen wollen, und damit kommt es zu einer hohen Konzentration in bestimmten Straßenabschnitten.

Blasius: Weil sie als Gäste ihre Werte beibehalten, viele die Burka eben nicht ablegen. Aber Deutsche auf Mallorca leben auch nicht spanisch. Sie wollen dort deutsche Geschäfte und Restaurants. Diese Deutschen regen sich hier über arabische Geschäfte für Araber auf. Und dann konkurrieren die Medizintouristen auch noch um den Wohnraum, wobei sie Preise akzeptieren, die weit oberhalb dessen liegen, was die Wohnungen wert sind.

Blasius: Die Leute, die gegen die Flüchtlinge und Migration sind, sind nicht an Dialog interessiert, sie haben ihre Meinung. Die haben die einfache Formel: Raus!

Blasius: Integration bedeutet ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen und nicht, dass die Ausländer unsere Gewohnheiten zu 100 Prozent übernehmen. Das wäre Assimilation.

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