Godesberger Gesprächsreihe "Ich stelle mich" Peer Steinbrück kritisiert Bundesregierung

BAD GODESBERG · Peer Steinbrück war Gast in der Gesprächsreihe „Ich stelle mich“. Dabei warf er der Bundesregierung massives Versagen in der Europapolitik vor, weil sie bis jetzt keine Antworten auf die weitreichenden französischen Vorschläge habe.

 „Ich stelle mich“ im Forum Bad Godesberg: Helge Matthiesen (r.) im Gespräch mit Peer Steinbrück.

„Ich stelle mich“ im Forum Bad Godesberg: Helge Matthiesen (r.) im Gespräch mit Peer Steinbrück.

Foto: Axel Vogel

Annette Schavan war schon da, Elke Heidenreich ebenfalls, und René Obermann saß auch schon auf dem Podium der Gesprächsreihe „Ich stelle mich“. Gestern Abend nun kam Peer Steinbrück ins „Forum Bad Godesberg“ – und die rund 120 Besucher im Pastoralzentrum an St. Marien hatten ihre helle Freude mit und an dem früheren NRW-Ministerpräsidenten, Bundesfinanzminister und, natürlich, ihrem Bad Godesberger Mitbürger.

Kaum auf dem Podium erntete Steinbrück schon den ersten Lacher. „Das ist ja wie unter der Trockenhaube“, sagte der 71-Jährige, als er unter einer überdimensionalen Lampe Platz nahm.

„Fahren Sie Diesel?“, begann GA-Chefredakteur Helge Matthiesen. „Ne, ich fahre meistens ältere und gebrauchte Autos“, antwortete Steinbrück. Er würde sich auch keinen Diesel kaufen. Die Politik müsse mit der Automobilindustrie härter umgehen. Solche Gipfel in Berlin würden doch nur „das Geräusch von ablaufendem Badewasser“ hinterlassen, also kaum Relevanz haben.

Flüchtlingskrise als "Vitaminspritze für AfD"

Schon waren die beiden in der Berliner Politik. „Warum haben die Volksparteien derzeit so große Schwierigkeiten?“, fragte Matthiesen. Das habe mit dem kulturellen Wandel in der Politik nach der Zäsur 2015 zu tun gehabt. Die Flüchtlingskrise sei eine „Vitaminspritze für die AfD gewesen“. Die sei Anfang 2015 auf dem absteigenden Ast gewesen. Habe es andere Möglichkeiten gegeben, als Hunderttausende nach Deutschland kamen? „Für solche Dinge habe ich den Satz Hätte, Hätte, Fahrradkette“ geprägt, so Steinbrück.

Es ging um seine Schulzeit – „Ich bin zweimal sitzengeblieben, trotzdem kann man noch Politiker werden“ –, und um die Bundeswehr. Dort habe er auch seinen Weg in die SPD begonnen. Ein Oberleutnant der Bundeswehr habe ihn in die Partei gebracht. In seiner Studentenzeit in Kiel machte er Bekanntschaft mit einem Polizeikommando, weil Ermittlungen dazu liefen, dass in seiner Kieler Wohngemeinschaft eine Terroristin leben sollte.

Ein paar Jahre später, als sich Steinbrück in einem Bonner Ministerium um eine Anstellung bewarb, flog er raus. „Wir können Sie nicht einstellen, Sie sind ein Risiko für die Bundesrepublik Deutschland“, zitierte er einen Beschluss. Ein paar Monate lang war er arbeitslos. Später arbeitete er im Bundeskanzleramt und ab Mitte der 80er Jahre als Büroleiter von Johannes Rau. Dann ging es nach Schleswig-Holstein und 1998 wieder nach NRW.

Lehman Brothers und die Finanzkrise

„Welche Beziehung hatten Sie zum Karneval?“, fragte Matthiesen. Eine Session habe er alles 200-prozentig mitgemacht von Münster über Düsseldorf und Köln bis Bonn und dabei „dieselben flachen Witze unter der Gürtellinie immer wieder gehört“. Da habe er gemerkt, das brauche er nicht mehr.

Später als Bundesfinanzminister musste er für Deutschland die schlimmsten Folgen der Finanzkrise eindämmen. „Haben Sie gedacht, es hätte schiefgehen können?“, fragte Matthiesen. „Ja, zwei-, dreimal“, antwortete Steinbrück. Zum Beispiel: 36 Stunden nach der Pleite von Lehman Brothers drohte der Bankrott von AIG, dem weltweit größten Versicherungskonzern. Was abgewendet wurde.

Nicht viel später standen eines Sonntags Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Fernsehkameras. „Wir hatten aber gar kein Mandat vom Bundestag. Trotzdem gingen wir in eine Haftung von 1,5 Billionen Euro. So hoch war die Summe der Spareinlagen“, so Steinbrück.

"Spürbarer Wandel" in Bad Godesberg

Wieder Themenwechsel: „Wie hat sich Godesberg verändert?“, fragte Matthiesen. „Der Wandel ist schon sehr spürbar. Da muss man nicht so tun, dass das nicht erkennbar ist. Die Stadtpolitik muss auch darauf schauen“, sagte er.

Doch Steinbrück wäre nicht Steinbrück, wenn er nicht doch noch eine bundespolitische Aussage zum Besten gab. Der Bundesregierung warf er europapolitisch „massives Versagen“ vor, weil sie noch immer keine Antwort auf die weitreichenden französischen Vorschläge gemacht habe.

Und warum schaue er immer so ernst drein?, fragte Matthiesen. „Mein Gesichtsausdruck ist immer noch fröhlicher als der von Ralf Stegner“, sagte Steinbrück. Und erntete wieder viele Lacher.

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