Komponenten aus Graphit Ohne SGL Carbon aus Mehlem würde kein Auto fahren

Mehlem · Das Unternehmen "SGL Carbon" in Mehlem stellt Komponenten aus Graphit für unterschiedliche Maschinen, Handys und Autos her. Ohne die Produkte würden viele Geräte aus unserem Alltag nicht laufen.

 SGL Carbon: „Press to Size“: Christian Laude kontrolliert die Zylinderlager, die im Sekundentakt fertiggeformt aus der Presse rutschen.

SGL Carbon: „Press to Size“: Christian Laude kontrolliert die Zylinderlager, die im Sekundentakt fertiggeformt aus der Presse rutschen.

Foto: Barbara Frommann

Wie attraktiv ist es doch, ein Süßwarenhersteller zu sein, dessen Ware niemand widerstehen kann und die man am besten noch im Fabrikverkauf günstig kaufen kann. Ein schwereres Los hat da schon SGL Carbon an der Drachenburgstraße gezogen: ein großer, etablierter Betrieb. Aber nicht so sexy. Obwohl: Ohne die Produkte „Made in Mehlem“ würde kein Auto fahren, kein Handy klingeln und sich keine Waschmaschine drehen. Hier kennt man sich aus mit Graphit und seiner aufwendigen Herstellung. Benötigt werden dafür geheime Pulvermischungen, sehr viel Hitze, großer Druck und Zeit.

Wenn Thomas Metzinger durch die Hallen und Gassen auf dem Werksgelände läuft, grüßen ihn die Mitarbeiter mit einem freundlichen „Mahlzeit“ – auch nachmittags um vier. „Bei uns ist immer Mahlzeit“, sagt der Badener, der das Werk seit zwei Jahren leitet, aber schon seit 2001 im Betrieb beschäftigt ist. „Ich bin Chemiker, habe mich seit meinem Studium nur mit Graphit beschäftigt.“

Er ist zuständig für 820 Mitarbeiter, vom Azubi bis zum Ingenieur. Sie arbeiten fünf Tage die Woche in drei Schichten. Ein Viertel der Belegschaft kommt direkt aus Bonn, insgesamt 90 Prozent sind in der näheren Umgebung zu Hause. 20 Nationen sind vertreten, der Anteil der Frauen mit zwölf Prozent recht gering, was laut Metzinger an der durchaus körperlich schweren Arbeit liegt. Einige Familien arbeiten schon in mehreren Generationen im Werk. „Es sind einige Ehen aus dem Werk herausgekommen“, sagt Metzinger. Die Firma mit Hauptsitz in Wiesbaden hat sich nach einem Sparkurs gerade neu aufgestellt und in den Standort Bonn über vier Jahre hinweg 25 Millionen Euro investiert.

17 Fußballfelder großes Gelände

Bis 2020 soll die Kapazitätserweiterung abgeschlossen sein, die vor allem Bauteile auf Basis von Spezialgraphiten für die Autoindustrie umfasst. Das Unternehmen setzt auf zwei Geschäftsbereiche: auf Verbundwerkstoffe von der Faser bis hin zum fertigen Bauteil und auf Graphitspezialitäten. In Mehlem dreht sich alles um Letzteres. Es handelt sich in diesem Geschäftsbereich um den größten Standort von SGL. Das Werksgelände umfasst 125.000 Quadratmeter, was 17 Fußballfeldern entspricht. Bis kommendes Frühjahr werden die Kapazitäten erweitert und 13 Millionen Euro unter anderem in eine neue Halle investiert (der GA berichtete).

Die Herstellung von Graphit beginnt in den heiligen Hallen, der Mischerei, wo aus Steinkohle gewonnener, gemahlener Koks, Naturgraphit und Steinkohlenteerpech als Bindemittel in geheimen Zusammensetzungen bei großer Hitze zusammenkommen. Aus dem Teig entstehen Pellets, die auch wieder zu einem Pulver vermahlen werden. Dabei handelt es sich nun um die sogenannte grüne Mischung. Wer an den riesigen Mischmaschinen vorbeigeht, muss aufpassen, dass er nicht auf dem grauglänzenden Naturgraphit auf dem Boden ausrutscht. „Rennen ist nicht erlaubt“, sagt Metzinger. Man habe schon versucht, den Untergrund aufzurauen, doch gegen die schmierige Schicht sei kein Kraut gewachsen. Aber genau diese Schmiere ist es, die Graphit etwa für Lager und Gleitringe so wichtig macht.

400 Kilo schwere Blöcke

Das Material erhält in unterschiedlichen Presstechnologien nun seine Form, wird erst bei rund 1000 Grad gebrannt und kommt dann zur Graphitierung in einen 20 Meter langen und drei Meter breiten Spezialofen. Zwischen Koks als Packmasse liegen dann die Blöcke, deren Moleküle sich bei 3000 Grad im Laufe der Zeit immer mehr ordnen, was den elektrischen Widerstand immer geringer werden lässt. Ein fertiger Graphitblock mit einer Größe von 123 mal 50 mal 40 Zentimetern wiegt rund 400 Kilogramm. Nach vier Brennvorgängen erfüllt die Packmasse nicht mehr ihren Zweck und muss mit Schaufeln von Hand rausgeschippt werden. André Donoghue und seine Kollegen haben sich für diese anstrengende Arbeit weiße Anzüge, Helm und Gesichtsschutz angezogen.

Seit 2013 ist eine neue Halle in Betrieb, in der alles automatisch abläuft. Dort entstehen grüne Blöcke, die zum Beispiel nach China für die Solar- und Halbleiterindustrie exportiert werden und erst dort in den Ofen kommen. „Wir haben hier die größte isostatische Presse der Welt“, sagt Metzinger. Er kann sich noch gut erinnern, wie die Maschine, die 14 Millionen Euro gekostet hat, über den Rhein angeliefert und dann mit einem Schwertransport durch Mehlem kutschiert wurde. Dieser Teil des Werks, in dem sich vieles unterirdisch abspielt, kann noch erweitert werden.

Bauteile in größter Präzision für die Autoindustrie

Für die Autoindustrie und den Maschinenbau interessant ist das sogenannte PTS-Verfahren, bei dem Bauteile in größter Präzision in Großserie hergestellt werden. Hinter der Abkürzung verbirgt sich „Press to Size“, wo durch das Pressen Lager und Gleitringe für Turbolader oder Abgasklappen entstehen. 50 Teile fallen pro Minuten aus der Maschine, die Christian Laude noch einmal genau unter die Lupe nimmt. Vor dem Brennen lassen sich die fertig geformten Teile allerdings noch ganz leicht mit den Fingern zerbrechen.

In einer weiteren Halle tun Gesenkpressen stoisch ihren Dienst und formen 13 mal zwölf mal fünf Zentimeter große Barren, die später nach dem Brennen etwa zu Kohlebürsten weiterverarbeitet werden. Die werden dann nicht nur in Waschmaschinen, sondern auch in Windkraftanlagen eingebaut. Metzinger: „Es ist schade, aber unsere Bauteile sind immer versteckt.“

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